Humboldt-Universität zu Berlin - Theologische Fakultät

Helgalinde Staudigel

Hegalinde Staudigel

(geb. 1919 in Berlin – gest. 2007 in Berlin)

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Hegalinde Staudigel wurde 1919 in einen eher bildungs- oder zumindest universitätsfernen, jedoch kosmopolitischen Kontext geboren. Im familiären Kontext wurde ihr früh eine gewisse Liebe zum Sprachenlernen vorgelebt, womit ein immanenter Teil ihrer Sozialisation auch eine kulturelle Offenheit über sprachliche Grenzen hinweg umfasste.

Zu Staudigels schulischer Ausbildung gehörte u.a. der Besuch der Freien Waldorfschule Dresden. Die Ausbildung an der Waldorfschule nahm sie im Hinblick auf ihren weiteren Bildungsweg als „schlechte Voraussetzung“ wahr. Nach Abschluss der Schule trat sie Mitte der 1930er zunächst eine Ausbildung als Kindergärtnerin und Hortnerin an.

Ihre universitäre Karriere bahnte sich mit einem für viele Frauen damals typischen Eintritt in die Theologie an: Während ihrer Tätigkeiten als Kirchgemeindehelferin in der St. Jakobi Rostock besuchte sie Vorlesungen und Seminare zu theologischen Themen. Nach dem Abschluss des Begabtenabiturs, das sie an der Volkshochschule Rostock 1949 nachgeholt hatte, nahm Staudigel dann das Studium an der dortigen Theologischen Fakultät auf. Ihr Promotionsvorhaben wurde ab 1955 von Prof. Gottfried Quell (Altes Testament) betreut. Die schließlich 1957 daraus hervorgegangene, 60-seitige Dissertation mit dem Titel „Die Begriffe Gerechtigkeit und Leben und das Problem der Gerechtigkeit Gottes bei Ezechiel“ fügte sich mit ihrem begriffs- und traditionsgeschichtlichen Zugang thematisch sehr gut in die alttestamentliche Forschung der 50er Jahre. Ihre Auseinandersetzung mit Ezechiel, einer biblischen Persönlichkeit, die von Fehlern „der Väter“ berichtet (vgl. Ez 18), passe ihrer eigenen Auskunft zufolge in den Gesellschaftsdiskurs der Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, in dem Fragen der „Schuld der Väter“ und ihre Auswirkungen auf die gegenwärtige Generation von Bedeutung waren.

1959 wechselte Staudigel zusammen mit ihrem Lehrer Gottfried Quell von Rostock nach Berlin (Ost) und wurde an der theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Dozentin für Hebräisch. Ihr ostdeutscher Lebens- und Ausbildungshintergrund wirkte sich zuträglich auf ihre weitere Karriere aus, da in der DDR die Berufstätigkeit von Frauen als Notwendigkeit der Gleichberechtigung von Mann und Frau propagiert wurde. Seit den 1950er Jahren stand die theologische Fakultät der HU unter massivem Druck des Aufbaus des Sozialismus. 1958 hatte der Rektor ein 12-Punkte-Programm erlassen, das jede/r Studierende unterschreiben musste, und was verpflichtend war (u.a. die aktive Unterstützung des Sozialismus). Die ideologische Durchsetzung und politischen Repressionen führten zu Streitigkeiten auch im Kollegium der Theologischen Fakultät und waren Anlass für Quell, an das weniger politisch vereinnahmte kirchliche Sprachenkonvikt zu wechseln. Staudigel blieb hingegen an der HU.

In den Folgejahren widmete sie sich intensiv der universitären Lehre. Ihr akademisches Wirken zeichnete sich durch einen ausgesprochen hermeneutischen Zugang aus. Sie bemühte sich, den Geist der zu interpretierenden Schrift zu verstehen und herauszuarbeiten. Mit dem starken Votum für den Eigenwert und die Eigengewichtigkeit des Alten Testaments steht sie in der Tradition ihres Lehrers Quell. Hebräisch-SchülerInnen Staudigels berichten von einem strikten Unterricht und hohem Anspruch an ihre Lernenden. Die geistige, vielleicht sogar emotionale Nähe zu ihrem Lehrer Quell lässt sich in ihrer Biografie vielfach ausmachen; im Rahmen der Lehre wurde sie sogar spöttisch von Studierenden als „Quellinchen“ bezeichnet.

Auch wenn Helgalinde Staudigel hauptsächlich durch ihre Lehrtätigkeit in Erscheinung trat, hinterließ sie doch auch einige Spuren in der Forschung. Zum Repertoire ihrer veröffentlichten Forschungsarbeiten zählen verschiedene Kurzrezensionen, zwei Lexikonartikel, ein Aufsatz und eine Miszelle. Ihr wahrscheinlich größtes, doch unvollendetes Projekt bezieht sich auf den Nachlass Quells. Sie plante, einen von Quell begonnen Psalmenkommentar herauszugeben, wobei im Rahmen dieses Vorhabens hunderte Seiten Typoskript entstanden. Somit zeigt sich, dass Staudigel sich zeitlebens mit den Psalmen befasste. Ihre Haltung zum Judentum lässt sich mit folgendem Beispiel veranschaulichen: Innerhalb eines kleinen exegetischen Artikels kam sie auf die Shoa zu sprechen und nahm explizit Bezug auf eine Gedenktafel für die Opfer der Shoa.

Helgalinde Staudigel ging 1979 in den Ruhestand, wobei sie danach weiterhin publizierte. Sie starb 2007 in Berlin.