Humboldt-Universität zu Berlin - Theologische Fakultät

Agnes von Zahn-Harnack

Agnes Zahn-Harnack
(geb. 1884 Gießen, gest. 1950 in Berlin)

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Agnes Zahn-Harnack wurde 1884 als eine von drei Töchtern des Theologen Adolf von Harnack in Gießen geboren und starb 1950 in Berlin. Sie war die erste Frau, die 1908 an der Humboldt Universität immatrikuliert wurde. Um diesem Ereignis und ihrer Person zu gedenken, wurde sie zur Namensgeberin des Online-System “Agnes”, welches Prüfung und Lehre der Humboldt-Universität organisiert. Zahn-Harnack wuchs im Berliner Grunewald in einem liberal-protestantischen, akademischen und wohlhabenden Milieu auf. In der Weimarer Republik wurde sie Mitglied in der linksliberalen Partei DDP. In dem Grunewalder Milieu, zu dem neben der Familie Bonhoeffer auch viele andere wichtige Gelehrtenfamilien gehörten, wurde viel über gesellschaftliche Zustände bzw. Missstände debattiert. Regelmäßig wurden sowohl theoretische wie praktische Gesellschaftsfragen erörtert, was später auch Kritik am und, zu einem gewissen Grad, auch Widerstand gegen das NS-Regime umfasste. Der Widerstand schloss dabei jedoch nie die Entwicklung von Umsturzplänen ein. Die Opposition Zahn-Harnacks gegen den NS, in einer Zeit der “inneren Emigration”, äußerte sich u.a. derart, dass sie jüdische Kinder unterrichtete, denen der Schulbesuch verboten worden war. Jene Kinder des Grunewalder Milieus, die als junge Erwachsene in den offenen Widerstand gingen (Ernst von Harnack, Dietrich Bonhoeffer), wurden fast alle hingerichtet. Zahn-Harnack suchte sich teils weniger öffentlichkeitswirksamere Widerstandsformen. Dies entsprach auch ihrer politisch moderaten Haltung, die sich u.a. in ihrer Position zur Gleichberechtigung von Frauen und ihrem eher gemäßigten Verhältnis zur noch jungen Demokratie widergespiegelt.

Zahn-Harnack absolvierte die Ausbildung zur Lehrerin für mittlere und höhere Mädchenschulen und legte 1903 das Lehrerinnenexamen ab. Anschließend arbeitete sie einige Jahre als Lehrerin an unterschiedlichen Gymnasien, u.a. auch im Schulfach Religion. Parallel dazu bereitete sie sich auf ihre Abiturprüfung vor.

Wider Erwarten studierte Agnes Zahn-Harnack ab 1908 nicht Theologie, sondern nahm das Studium der Philosophie, Romanistik und Germanistik auf. Diese Entscheidung lässt sich vermutlich auch auf fehlende Berufsperspektiven zurückführen lässt, da Frauen weder zum Examen noch zum Pfarramt zugelassen wurden. Diese dreiklangliche Fächerwahl erinnert an das fachliche Profil einer Gymnasiallehrerin. Nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums in Berlin führte sie ihr Weg jedoch zur Promotion. Mit einem Wechsel an die Universität Greifswald und in die Literaturwissenschaft, schrieb sie ihre Doktorarbeit zum Werk des Schriftstellers Clemens Brentano. An dieser Karriereentscheidung lässt sich vielleicht ablesen, dass sie sich Hoffnungen auf eine wissenschaftliche Karriere machte; wozu es letztlich nicht kommen sollte.

Zu ihrem Vater Adolf von Harnack bestand bis zu dessen Tod 1930 ein sehr enges Verhältnis: so wohnte sie bis 1930 mit ihrem Ehemann bei ihrem Vater, führte stets Hilfsarbeiten für seine Forschung aus, und schrieb nach seinem Ableben eine ausführliche Biographie über ihn, die 1936 veröffentlicht wurde. Der Vater war auch eine prägende Figur für ihren Bildungsweg, nicht nur weil er sie enorm förderte und allen Schwestern eine gute Bildung ermöglichten konnte und wollte. Er war es auch, der sich dafür einsetzte, dass sie als erste Frau an der HU immatrikuliert wurde. Dieses Näheverhältnis führte jedoch auch dazu, dass sie bis heute oft nur im Schatten ihres Vaters wahrgenommen und auf ihre Rolle als Tochter des Theologen Harnack reduziert wird.

 

Agnes Zahn-Harnack war eine leidenschaftliche Kämpferin für die Förderung von Frauenbildung. Während der Weimarer Republik gehörte sie der Bewegung des fortschrittlichen Liberalismus an und ließe sich damit als moderatere Feministinnen beschreiben. Sie trat öffentlich dafür ein, dass Frauen in der Gesellschaft eine bessere und ihnen würdige Position erhalten, forderte die Gleichberechtigung von Frau und Mann, war jedoch Vorstellungen von einem radikalen Umsturz der gesamten Gesellschaftsordnung abgeneigt. Ihr Einsatz für Frauenrechte ist gerahmt von einem grundsätzlichen Festhalten an der stratifizierten Gesellschaft des Kaisertums. Letzteres wird von dem liberalen Milieu, dem Agnes Zahn-Harnack angehörte, nur sehr zaghaft infrage gestellt. Auch an der Versöhnungsarbeit nach 1919 und dem Versuch, mit den Kriegsgegnern in einen guten Kontakt zu treten, wirkte sie mit.

Die (feministische) Verbandsarbeit nahm einen großen Teil ihres Lebens ein, sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Kontext engagierte sie sich an der Seite wichtiger Persönlichkeiten wie Marie Elisabeth Lüders. Agnes Zahn-Harnack war Mitbegründerin des sie 1926 gegründeten „Deutschen Akademikerinnenbundes“ und wurde erste Vorsitzende des Bundes. Daneben engagierte sie sich schon früh im „Berliner Frauenbund“, welcher Mitglied im „Bund deutscher Frauenvereine“ war. 1933 erwirkte Zahn-Harnack die Auflösung des „Bundes deutscher Frauenvereine“, um der Vereinnahmung durch das nationalsozialistische Regime und dem Ausschluss jüdischer Frauen aus dem Bund zuvorzukommen. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde mit Blick auf ihre Verbandsarbeit und ihre Rolle in der Frauenbewegung zur tiefen Zäsur; viele Formen ihres Engagements ließen sich erst nach 1945 wieder aufnehmen.

Auch der „Deutsche Akademikerinnenbund“ hatte sich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung selbst aufgelöst und wurde 1949 auf Mitinitiative Zahn-Harnacks, noch vor der Gründung der BRD, neugegründet. Auch die Neugründung des Berliner Frauenbunds 1945 geht auf Agnes von Zahn-Harnack zurück.

Neben ihrer aktiven politischen Rolle in der Frauenbewegung setzte sie sich auch wissenschaftlich mit der Thematik auseinander: in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen verfasste Zahn-Harnack ein wichtiges Werk über die Frauenbewegung mit dem Titel „Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele“, das 1928 erschien.

Ein Jahr vor ihrem Tod wurde ihr der Ehrendoktor der Philipps-Universität Marburg für ihre Verdienste für den „liberalen Protestantismus“ verliehen.