Humboldt-Universität zu Berlin - Literaturgeschichte und Theologie des Alten Testaments

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Zeit und Raum im Horizont der Hebräischen Bibel und ihrer Übersetzungen

Die sich von der Spätantike über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit in der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte entwickelnden Konzeptionen von Raum und Zeit sind tief geprägt von alttestamentlichen Vorstellungen. Gleichwohl fehlt eine Gesamtdarstellung der alttestamentlichen Begriffe für Raum und Zeit, welche gleicherweise die Hebräische Bibel als die textliche Ausgangsbasis und die spätantiken griechischen und lateinischen Bibelübersetzungen (Septuaginta, Vetus Latina, Vulgata) als die wesentlichen Vermittlerinnen hebräischer, und damit altvorderorientalischer Vorstellungen, in die griechisch-römische Welt und über diese in das Neue Testament und in den christlichen Bereich in den Blick nimmt. Daher zielt das hier skizzierte Forschungsprojekt auf eine lexikalische und semantische Erfassung aller in der Hebräischen Bibel vorliegenden Begriffe für Raum und Zeit und auf deren diachrone Einordnung in die Sprach- und Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel. Zur Erhellung des sprachlichen Kontextes werden auch die entsprechenden Begriffe in den althebräischen und altaramäischen Inschriften und Papyri des 1. Jahrtausends v. Chr. analysiert. Zur Nachzeichnung der Rezeptionsgeschichte der hebräischen und aramäischen Raum- und Zeitbegriffe werden die Übersetzungsäquivalente in der Septuaginta, Vetus Latina und Vulgata untersucht. Dabei ist auch hier die sprach- und traditionsgeschichtliche Dimension im Blick, insofern die spätantiken Übersetzungen in einem längeren Prozess entstanden sind, an unterschiedlichen Orten der Levante erstellt und von unterschiedlichen paganen Philosophien beeinflusst wurden.

 

Ein besonderer Schwerpunkt des Forschungsprojektes liegt auf der Transformation raum-zeitlicher Begriffe und auf den Fragen, welche linguistischen, historischen und geistesgeschichtlichen Faktoren für die Überführung von Zeitbegriffen in Raumbegriffe verantwortlich sind, unter welchen sprachlichen und kulturellen Bedingungen Zeit- und Raumbegriffe transzendiert und zu Gottesbezeichnungen werden und vor welchen sprachlichen und geistesgeschichtlichen Hintergründen die Austauschbarkeit von Begriffen und Metaphern für Raum und Zeit zu erklären ist. Dies impliziert eine Interpretation der israelitisch-jüdischen Konstruktion von Raum und Zeit, in der Räume und Zeiten vornehmlich qualifiziert und nicht quantifiziert werden, und der Korrelation beider Größen zur Welt Gottes und der Götter, insofern sich Raum und Zeit auch nach den Kategorien „heilig“ und „profan“ klassifizieren lassen.

 

Das Forschungsprojekt wird sich auf sämtliche raum-zeitlichen Wörter (Nomen, Verben, Präpositionen) der Hebräischen Bibel erstrecken, die sich in Anlehnung an eine von Jan Assmann (1995) in die Ägyptologie eingeführte Klassifikation in die Gruppen 1) Begriffe für Zeit- und Raumeinheiten, 2) Begriffe für subjektive Zeitspannen und Raumerfahrungen und 3) Begriffe für kosmische (göttliche/heilige) Räume und Zeiten einteilen lassen. Die Untersuchung wird die in der bisherigen Forschung erzielten Ergebnisse zur historischen Etymologie und Grammatik der behandelten Wörter im Hebräischen, Aramäischen, Griechischen und Lateinischen sowie zu den literarischen Kontexten, in denen die einzelnen Wörter zur Anwendung kommen, zusammenführen und in eine Gesamtdarstellung zum Verständnis von Zeit und Raum im antiken Judentum und frühen Christentum, wie es sich in den verschiedenen kanonischen Textcorpora niedergeschlagen hat, überführen. Mit dieser Synthese und einer kommentierten Synopse aller Begriffe für Zeit und Raum in der Hebräischen Bibel, in der Septuaginta und in der Vulgata wird das Forschungsprojekt weit über das bisher in den Theologischen Wörterbüchern zum Alten und Neuen Testament Geleistete hinaus gehen. Ziel ist die Erstellung eines bisher nicht vorhandenen Handbuchs und einer Datenbank zu „Zeit und Raum im Horizont der Hebräischen Bibel und ihrer Übersetzungen“.