Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

BThZ Beiheft 2001

Die biologische Machbarkeit des Menschen


CHRISTOF GESTRICH
Zum Geleit

Dieser Ethik-Band erfasst eine sehr aktuelle Konfliktlage zu Beginn der kontroversen und inzwischen breiten Diskussion im Jahre 2000. Das hier dokumentierte Symposium wirft grundsätzliche Fragen zur Zukunft der Gentechnologie auf und entwickelt sie unter verschiedenen ethischen Blickrichtungen. Angesehene Wortführende aus den Bereichen Biologie, Medizin, Philosophie, Rechtswissenschaft, Soziologie und Theologie trugen zum Gelingen des Symposiums bei. Mitte dieses Jahres wurden Eve-Marie Engels, Wolfgang van den Daele und Jens Reich in den vom Bundeskanzler eingerichteten Nationalen Ethikrat berufen. Hinzu kam Volker Gerhardts Beitrag "Der Mensch wird geboren". Der Verfasser lehrt Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, war als Mitglied des Vorbereitungsausschusses der Werner-Reihlen-Vorlesung an der Planung beteiligt und gehört ebenfalls dem Nationalen Ethikrat an.


OSWALD BEYER
Selbstschöpfung? Von der Würde des Menschen

Der Beginn des menschlichen Lebens kann nicht analytisch aus naturwissenschaftlichen Daten ermittelt werden, sondern ist nur synthetisch zu begründen: mit der Verschränkung von Element - dem Zellhaufen - und Einsetzungswort, das Zellhaufen und Person zusammenspricht: Dieser Zellhaufen ist Person. Die elementare Angewiesenheit des Menschen auf diese unbedingte, allen seinen Eigenschaften und Verdiensten zuvorkommende Anerkennung als unantastbare Person ist in ihrer konstitutiven Verschränkung mit dem dem Menschen verliehenen Herrschaftsauftrag wahrzunehmen (Ps 8).

The beginning of human life cannot be analytically determined out of scientific facts, but only in a synthetic way: with the linking of element - the bunch of cells - and the word of institution, which speaks a bunch of cells and a person together, saying: This bunch of cells is a person. The elementary dependency of man on this unconditional appreciation preceding all his characteristics and merits as a inviolable person is to be observed in its fundamental link with the order and mandate of dominion, which is given.


WOLFGANG VAN DEN DAELE
Urteile über die Gentechnik im Lichte von Ergebnissen der Technologiefolgenabschätzung

Obwohl die gegenteiligen Vorurteile weit verbreitet sind, lässt sich weder zeigen, dass die Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen in die Umwelt besonders riskant ist, noch dass die Anwendung der Gentechnik auf den Menschen unlösbare moralische Probleme aufwirft. Diese Befunde bringen alle Politik, die drastische Regulierung der Technik unter dem Gesichtspunkt der Risikovorsorge oder als Respekt vor moralischen Geboten einklagt, in Begründungsnot.

Although there are widespread feelings to the contrary, it is not possible to prove that genetically modified plants are particularly risky. Nor are moral issues implied in the application of genetics to humans irresolvable. On the basis of these findings, political demands that genetic engineering should be banned under the precautionary principle or in defense of moral boundaries, are difficult to sustain.


EVE-MARIE ENGELS
Die Herausforderung der Biotechniken für Ethik und Anthropologie

Die Grundeinsicht der philosophischen Anthropologie, dass der Mensch notwendigerweise einer Deutung und Positionsbestimmung seiner selbst im Verhältnis zur übrigen Natur bedarf, gewinnt im Zeitalter der Biotechnologie mit ihren Eingriffsmöglichkeiten in Mensch und Natur eine besondere Aktualität und Brisanz, wie sie zuvor nur in Utopien beschrieben wurde. Ausgehend von ihren Wegbereitern in Philosophie und Biologie werden die Herausforderungen der neuen Biotechniken für die Anthropologie und Ethik beschreiben.

The essential insight of philosophical anthropology, namely that human existence necessarily requires a selfinterpretation of the human being as well as a definition of his/her position with respect to nature, gains a special interest and explosiveness in the age of biotechnology. The possibilities of biotechnological intervention into the human being and nature in general confronts us with a situation, which was formerly only described in utopias. Starting with the pioneers of these technologies in the history of philosophy and biology, the author describes its challenges for today's anthropology and ethics.


VOLKER GERHARDT
Der Mensch wird geboren

Die absolute Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens gründet sich nicht allein darauf, dass der Mensch lebendig ist, sondern dass er sich als Person begreift. Dadurch ist in der bioethischen Debatte das Dilemma entstanden, dass man entweder schon den Embryo oder aber erst den erwachsenden Menschen unter den unbedingten Schutz der Menschenwürde stellt. Beide Positionen führen in unhaltbare Wiedersprüche. Der vorliegende Text lässt diese Widersprüche hinter sich, in dem er in einem ersten Schritt die kulturell gut begründete These anschaulich macht, dass menschliche Leben erst mit der Geburt beginnt. In einem zweiten Schritt wird dann gezeigt, dass man aber schon dem Neugeborenen die Vernunftfähigkeit unterstellen muss, die den unbedingten Schutz des personalen Lebens verlangt. Im Schlussabschnitt wird deutlich gemacht, dass durch diese Einsicht weder die befruchtete Keimzelle noch der Embryo als rechtlos gelten dürfen.

The absolute protection-worthiness of human life is grounded not only in the fact that the human being is a living being, but also therein that he understands himself as a person. This has occasioned a dilemma in debate on bio-ethics: Either the embryo is already placed under the unconditional protection of human dignity, or only the fully-grown human being. Both positions lead to untenable contradictions. The following article avoids these contradictions by, in a first step, illustrating the culturally well-founded thesis that human life begins with birth. Then, in a second step, it is shown that we must assume that a new-born possesses the very rational capacity which demands the unconditional protection of the life of the person. In the final section it is made clear that, departing from this insight, neither the fertilized germ cell nor the embryo may be considered to be without rights.


JENS REICH
Die Relevanz des genetischen Wissens für unser Selbstverständnis.

Über genetische Anthropotechnik in Gegenwart und Zukunft Biologische Kausalität ist nicht hinreichend bestimmend für die Conditio humana. Sie ist nur eine notwendige Vorbedingung. Deshalb kann aus der Materialität des Daseins keine Ethik abgeleitet werden.

Biological causation is not sufficient to explain or predict or analyze the human condition. It is, however, a necessary precondition: without information there will be no life. The material basis of life is not sufficient to derive ethical principles and neural prescriptions.


MARGOT VON RENESSE
Rechtliche und politische Probleme der europäischen Bioethikkonvention

Die Aufarbeitung medizinischer Exzesse des 20. Jahrhunderts prägt die bundesdeutsche Diskussion zur europäischen Biomedizin - Konvention. Vielfach erhobene Forderung nach terminologischer Präzision verhindern jedoch zur Zeit die politische Umsetzung juristischer Standards. Richtungsweisend für die gegenwärtige Lage werden diese jedoch bereits heute durch den Text der Biomedizin - Konvention angelegt, die dem verfassungsrechtlich gesicherten Schutz der Menschenwürde verpflichtet ist.

The current German discussion on the European biomedical convention is formed by the dealing with the medical excesses of the 20th century. The demands for a very precise terminology seem to impede the translation of ideas into public policy, i.e. into juridical standards. Juridical standards, as they have already been proposed in the biomedical convention, are indispensable for they guarantee the constitutional safeguard of the dignity of man. Therefore they should be guiding within these discussions.


MICHAEL TROWITZSCH
Technokratie. Benennung einiger Vorurteile

Das wichtigste hier benannte Vorurteil lautet, dass Wissenschaft und Technik lediglich sich "absolut zu setzen" drohen. In Wirklichkeit haben sie sich bereits absolut gesetzt. Wissenschafts- und Technikgläubigkeit herrschen bereits. Mit Heidegger wird das instrumentale Verständnis der neuzeitlichen Technik als zu oberflächlich zurückgewiesen.

The main prejudice is that science and technology are simply threatening to claim absoluteness. In fact that has become already true: science and technology are ruling already and have become a form of religion. Heidegger has shown that the modern technology can not be understood as use of tools and instruments.