Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

BThZ Beiheft 1999

Gott der Philosophen - Gott der Theologen


CHRISTOF GESTRICH
Zur Einführung

Dieses um den "Gottesbegriff" herum Theologen und Philosophen versammelnde Symposium ist an der Zeit! Denn das Interesse aneinander scheint in den letzten Jahrzehnten geringer geworden. Da die Disziplinen ihre eigenen Wege gehen, ist das Aufeinanderbeziehen theologischer und philosophischer Gottesrede schwierig geworden. Daß dieses Beziehen nun 1998 im Großen Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin versucht wird, ist an diesem Ort - am Ende des 20. Jahrhunderts - ein denkwürdiges Ereignis. Philosophen, evangelische und katholische Theologen werden in diesen Tagen daran erinnern, daß das Nachdenken über Gott auch den ,Höchstfall des Denkens‘ selbst darstellt. Das weiß man in Europa spätestens, seitdem Anselm von Canterbury im "Proslogion" sein berühmtes Argument zum Erweis der Existenz Gottes entwickelt hat.

Stellen nun Philosophie und Theologie jede für sich oder auch gemeinsam die Gottesfrage, so berührt dies ihre Identität. In klassischer Weise fragte schon Thomas von Aquin am Anfang der "Summa Theologiae", ob Theologie überhaupt notwendig sei, wenn doch alles Wissbare in der Philosophie traktiert, und sogar der Gottesbegriff dort erörtert wird. Thomas machte dann geltend, das Besondere der Theologie liege darin, daß sie ihre Gotteserkenntnis, dem christlichen Glauben gemäß, aus der Offenbarung schöpft. Sie müsse aber mit der Philosophie zusammenarbeiten, da diese die "Präambeln" des Glaubens ausführe (S.th. I q.1 a.1ff.). In der evangelischen Theologie spielt demgegenüber der Konflikt, die Konkurrenz mit der Philosophie eine größere Rolle. Als sich beispielsweise Karl Barth einmal mit der Kritik mancher Philosophen an Hegels Philosophie befaßte, sie sei ,verkappte Theologie‘, erwiderte Barth, er könne gerade eines an Hegels System nicht wahrnehmen: Theologie! Hegel habe zwar den trinitarischen Gottesbegriff in sein Denken eingeführt, ihn aber dann grandios scheitern lassen. Er habe alle biblisch-dogmatischen Warnungen und Sicherungen, die die Grenze zwischen Gott und Mensch ziehen, mißachtet. Barth gab sich verwundert - oder doch nicht verwundert? - darüber, daß so viele Philosophen ihren wirklichen Zunftgenossen Hegel dann später links liegen ließen oder korrigieren zu müssen meinten. Das Mißlungene an Hegels Denken gehe jedenfalls genau von der Stelle aus, wo man in Hegels System nicht etwa zuviel, sondern gerade zuwenig des Theologischen bzw. des Christlichen finde (K. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich 31980, 372). Diese Erwägungen Barths zeigen uns - pars pro toto - wie hart und manchmal exaltiert die Frage philosophischer und theologischer Identität an der Gottesfrage aufbrechen kann.

Aber kommen wir zur heutigen Situation! Noch in den mittleren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gab es für Theologie und Philosophie einen Gegenstand, bei dessen Bearbeitung sie sich wechselseitig erneut interessant werden konnten: die Hermeneutik. So wie sie damals verstanden und betrieben wurde, erinnerte sie die Theologie und die Philosophie an gemeinsame Wurzeln. Sie achtete auf den ,abkünftigen‘ Charakter unseres Denkens von den Griechen und den Hebräern an. Unter dem Vorzeichen dieser Hermeneutik wurde der Schatz und die Last der abendländischen Vergangenheit geschultert und als inspirierendes Gesetz gewertet. Viele Theologen und Philosophen waren sich einig darüber, daß es einen langen, kohärenten abendländischen Denkweg gebe, der in Nietzsches Feststellung des neuzeitlichen Todes Gottes und in dem damit verbundenen Ende der Metaphysik (und der ,natürlichen Theologie‘) kulminierte. In Berlin war z.B. der Philosoph Wilhelm Weischedel (1905 - 1975) - der mit dem Theologen Helmut Gollwitzer im Wintersemester 1963/64 an der Freien Universität ein aufsehenerregendes Streitgespräch über "Denken und Glauben" (so der Titel eines von beiden 1965 gemeinsam veröffentlichten Buchs) veranstaltete - noch ein Repräsentant dieser, von Martin Heidegger zuerst diagnostizierten geistigen Situation. Für Weischedel stellte es ein Problem dar, daß die Theologen zwar ebenfalls diese ,Lagediagnose‘ vom Tod Gottes und von der eingetretenen Nihilismus-Situation stellten, nur um dann aber erneut von Gott zu reden. Als eine Absetzbewegung von der theologischen Art, in der Gegenwart von Gott zu reden, verfaßte Weischedel schließlich unter dem Titel "Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus" (1971/72, 31975 und 1983 in Darmstadt) ein großes, zweibändiges Werk, das philosophische Positionen darstellte und die Entwürfe zeitgenössischer Theologen kritisch beleuchtete. Hierdurch wurden die bis dahin noch von der Hermeneutik oft überdeckten objektiven Differenzen und Rivalitäten zwischen Theologie und Philosophie von philosophischer Seite aus wieder schärfer herausgearbeitet.

Allerdings brach dann, unabhängig von Weischedels Werk, in den siebziger Jahren die besonders für Deutschland charakteristisch gewesene Vorherrschaft der Hermeneutik plötzlich sehr schnell zusammen. Es zeigte sich damals im deutschsprachigen Raum ein Nachholbedarf in bezug auf die analytische Sprachphilosophie und den "kritischen Rationalismus", die in den englischsprachigen Ländern eine ähnliche ,Vorherrschaft‘ hatten wie bis dahin die Hermeneutik auf dem Kontinent. Dieses analytische Denken war zu einem nicht unerheblichen Teil durch den in den dreißiger Jahren ins Exil abgedrängten "Wiener Kreis" angeregt worden. Es kam zu einem kurzen ,Denkkrieg‘ zwischen Hermeneutik und analytischer Sprachphilosophie. Während letztere eine zeitlang häufig den Sinnlosigkeitsverdacht überhaupt gegen alles Reden von Gott äußerte, wurde ihr von ersterer ein verengtes Wirklichkeitsverständnis vorgeworfen. Jedenfalls gingen aber Einfluß und Ansehen der Hermeneutik zunächst zurück. Der deutschsprachigen Raum wurde von der ,linguistischen Wende‘ voll erfaßt, wie man das Vordringen der analytischen Sprachphilosophie - etwas schief - oft ettiketierte. Doch erstaunlich schnell gelang es dann, analytische Sprachphilosophie und Hermeneutik in kreativen Synthesen miteinander zu verbinden. Paul Ricoeur ist einer der großen Vordenker dieses bis heute allgemein als fruchtbar angesehenen Weges.

In bezug auf den Gebrauch und das Verständnis der Vokabel ,Gott‘ ist die Lage nun mindestens ,unübersichtlicher‘ geworden. Es gibt heute gerade vom sprachanalytischen Denken her, dessen Vertreter teilweise einen Gottesbegriff überhaupt für Nonsens hielten, den größten Support für das Weiterverfolgen der (mittlerweile sogar von den meisten Theologen als undurchführbar angesehenen) sogenannten Gottesbeweise. Friedo Ricken, Vortragender der diesjährigen Werner-Reihlen-Vorlesung, zeigte schon vor einigen Jahren, wie heute mehrere philosophische Ansätze bzw. Entwürfe aus den Bereichen ,Logik‘ und ,Sprachanalyse‘ sogar den klassischen Gottesbeweisen wieder grundsätzliche Berechtigung zuschreiben. Sie sehen sich in der Lage, sie mit weiterführenden Mitteln zu stützen. (Vgl. F. Ricken [Hg.], Klassische Gottesbeweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 1991, ²1998) Manche der heutigen philosophischen Richtungen halten auch das Unternehmen einer Metaphysik wieder für unverzichtbar - und für durchführbar. Erst wenige unter den systematischen Theologen beider Konfessionen können diesen Entwicklungen in der Philosophie Sinn abgewinnen und sie durch eigene Gesprächsbeiträge kritisch begleiten bzw. bereichern. Zu diesen gehören katholischerseits der erwähnte Friedo Ricken (München), evangelischerseits insbesondere Hermann Deuser (Frankfurt a.M.) mit verschiedenen auf Charles Peirce bezogenen Arbeiten und Ingolf Dalferth (Zürich), der sich seit seiner viel beachteten frühen Arbeit "Religiöse Rede von Gott", München 1981, ebenfalls mehrfach zur Frage einer heutigen denkerischen Verantwortung des Redens von Gott geäußert hat. Auch diese evangelischen Theologen werden nun während dieses Symposiums aus ihrer aktuellen Forschung heraus vortragen. Ihren Beiträgen stehen die Präsentationen zweier prominenter Philosophen gegenüber: Konrad Cramer (München) und Peter Rohs (Münster), die beide mit verschiedenen Arbeiten in den genannten Entwicklungen hervorgetreten sind.

In einer hoffentlich gelungenen und bewältigbaren Auswahl ermöglicht die diesjährige Werner-Reihlen-Vorlesung eine Zusammenschau heutiger Aspekte, Fragen und Wege des Redens von Gott. Es steht zu vermuten, daß das Vorurteil, es laufe heute in Theologie und Philosophie vieles allzu berührungslos nebeneinander her, nicht mehr das Richtige trifft. Vielmehr scheint sich - recht neu - eine überraschende Situation eingestellt zu haben, die aber für unsere Zeit vielleicht charakteristisch ist: Es gibt theologische Arbeiten zum Gottesbegriff, die ähnlichen philosophischen Arbeiten recht nahestehen - et vice versa. Es herrschen in diesen Fällen engere Gesprächsbeziehungen und ein engeres wechselseitiges Einverständnis zwischen den betreffenden Theologen und Philosophen als diese dies ansonsten innerhalb ihrer eigenen Fachrichtung vorfinden. Nur teilweise hängt diese Erscheinung mit dem mittlerweile erreichten hohen Grand der Spezialisierung zusammen. Zum andern Teil weist sie vielleicht auf echte veränderte Frontverläufe und neue Gemeinsamkeiten bzw. Übereinstimmungen hin: Philosophen können ,Philosophisches‘ sagen - aber dafür vor allem Zustimmung bei manchen Theologen erhalten, et vice versa.


KONRAD CRAMER
Der Gott der biblischen Offenbarung und der Gott der Philosophen

Der Artikel führt in Geschichte und Problematik der Gottesbeweise ein. Pascal hat zwar den Gott der Bibel dem Gott der Philosophen ausschließend gegenübergestellt; aber diese Ausschließung ist keineswegs unumstritten. Die Tradition der Gottesbeweise folgte einer anderen Überzeugung. Kant nimmt in diesem Streit gewissermaßen eine vermittelnde Position ein: er weist zwar ein Wissen über die göttlichen Dinge zurück, jedoch um zum Glauben Platz zu bekommen.

This article gives a brief account of the history and problematic of god-arguments. While Pascal distinguished sharply between biblical and philosopher's concepts of God, this exclusion is controversial. A great tradition endorses the possibility of god-arguments. Kant's position in this debate may be described as mediatorial: he refused a real knowlegde about divine matters in order to clear the way for faith.


INGOLF U. DALFERTH
Inbegriff oder Index? Zur philosophischen Hermeneutik von ,Gott‘

Daß Gott weder wirklich noch notwendig sein kann, wenn der Gottesgedanke nicht möglich, also kohärent, ist, gehört zu den gemeinsamen Grundüberzeugungen sehr verschiedener Ansätze analytischer Religionsphilosophie. Der Vortrag argumentiert im Anschluß an Hegel und Schleiermacher, daß dies irreführend ist. Die Kohärenz des Gottesgedankens ist ein sekundäres, kein primäres Problem: Der Ausdruck ,Gott‘ fungiert in religiöser Rede nicht wie ein Begriff, durch den etwas bestimmt wird, sondern wie ein Indexwort, das einen umfassenden Orientierungszusammenhang einführt, in dessen Horizont das ganze Leben in all seinen Dimensionen verstanden wird.

Most philosopher’s of religion in the analytic tradition agree that for God to be, the concept of God must be coherent: If ‘God’ is incoherent, God is neither a contingent (Swinburne) nor a necessary being (Plantinga) but impossible. The paper argues that this is mistaken, and substantiates this by reference to Hegel and Schleiermacher. In religious (as opposed to theological) discourse the term ‘god’ normally functions not as a concept but as an indexical which introduces a comprehensive scheme of orientation in terms of which believers understand and interpret the world and their particular place in it.


HERMANN DEUSER
Gibt es wirklich ein ,vernachlässigtes Argument‘ für die Realität Gottes?

Als "Vernachlässigtes Argument" hat C.S. Peirce 1908 seine Verteidigung der "Realität Gottes" bezeichnet. Auf dem philosophischen Hintergrund der kategorialen Semiotik, der evolutionären Metaphysik und des Pragmatizismus läßt sich die genuive Verbindung von religiöser Erfahrung und Gottesargument gerade heute und mit theologischen Gründen bestätigen.

A "Neglected Argument" - that is how C.S. Peirce called his reasoning for "God’s Reality" (1908). Against the background of his categorial semiotics, his evolutionary metaphysics and philosophy of pragmaticism, the deeply rooted convergence of religious experience and rational argument can be confirmed, indeed today and with good theological reasons.


FRIEDO RICKEN
Glaube und Freiheit

Ausgehend von Wittgensteins Begriff der Einstellung wird der religiöse Glaube als integrierende Sicht bestimmt. Es wird unterschieden zwischen einem religiösen Glauben im primären und im sekundären Sinn. Der Glaube im sekundären Sinn impliziert eine Grundentscheidung und einen Weg in die Tiefendimension der positiven Erfahrungen und ist insofern frei. Diese systematische Skizze wird mit Hilfe der analysis fidei des Thomas von Aquin differenziert.

Developing Wittgensteins concept of Einstellung religious belief is defined as an integrating point of view, and it is distinguished into a religious belief in primary and in secondary sense. Religious belief in secondary sense implies a fundamental decision and a way into the deep dimension of positive experience, and insofar it is free. By using Aquinas’ analysis fidei this systematic outline is differentiated.


PETER ROHS
Die Freiheit Gottes im Pantheismus

Die Freiheit Gottes soll als durch sein Sein in der Zeit bedingt erwiesen werden. Auf dieser Grundlage wird die neuplatonische Dichotomie von Zeit und Ewigkeit und der auf ihr beruhende Transzendenzgedanke kritisiert.

It is argued that God’s freedom depends on his being in time. This provides the basis for a critical examination of the neoplatonic dichotomy of temporality and eternity and the idea of transcendence built on it.