Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

31. Jahrgang, Heft 2/2014

Das Zweite Vatikanische Konzil in der evangelischen Theologie


THEODOR DIETER
Erneuerung der Römisch-katholischen Kirche und Ökumenismus. Die evangelischen Beobachter auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil

Der Beitrag untersucht die Bedeutung, die die Teilnahme evangelischer Beobachter am Zweiten Vatikanischen Konzil für dieses hatte. Er stellt drei Grundprobleme, vor denen sie bei der Wahrnehmung und Beurteilung des Geschehens standen, dar und analysiert exemplarisch an einzelnen Beobachtern und Themen die Differenziertheit ihrer Beobachtungen.

The paper investigates the significance of the participation of Protestant observers at the Second Vatican Council on the Council itself. It elaborates on three basic problems they faced in their perception and evaluation of the event, and using specific examples, it analyzes the differentiated approach of individual observers with respect to special themes.


KLAUS FITSCHEN
Das II. Vatikanische Konzil in der deutschsprachigen evangelischen Kirchengeschichtsschreibung

Für evangelische Kirchenhistoriker war das Konzil vor allem dann ein Thema, wenn sie ökumenische oder konfessionskundliche Interessen hatten. Die zeitliche Nähe der Vollversammlung des Ökumenischen Rates in New Delhi stimulierte ihre Hoffnungen auf neue ökumenische Perspektiven. Der historische Rückblick auf das Konzil war dann skeptischer, weil es von seinen Folgen her gesehen wurde, was freilich der katholischen Perspektive entspricht.

Protestant Church historians paid attention to the Council particularly if they were interested in ecumenical or confessional studies. Their hopes of new ecumenical perspectives were stimulated by the temporal proximity to the assembly of the World Council of Churches in New Delhi in 1961. The historical review was more sceptical, because it was assessed on the basis of its outcomes, which are actually comparable to the Catholic perspective.


FRIEDERIKE NÜSSEL
Dei Verbum. Die Offenbarungslehre des II. Vatikanischen Konzils in der evangelisch-theologischen Rezeption

In diesem Beitrag wird die Rezeption der Dogmatischen Konstitution über die Offenbarung des Zweiten Vatikanischen Konzils in der deutschsprachigen evangelischen Theologie untersucht. Diese konzentriert sich vornehmlich auf die Aussagen zum Offenbarungsverständnis und zum Verhältnis von Schrift und Tradition. In beiden Themenkomplexen werden wichtige ökumenische Übereinstimmungen erzielt, allerdings in zwei unterschiedlichen methodischen Zugängen. Diese zeugen nicht nur von einer innerevangelischen Debatte über Methode und Aufgabe ökumenischer Theologie. Es zeichnen sich in ihnen auch unterschiedliche Anliegen in der Auslegung des Offenbarungsbegriffs selbst ab.

This article explores how the Second Vatican Council’s Dogmatic Constitution on the Divine Revelation was received in German speaking Protestant theology. It shows that the discussion focused primarily on the notion of revelation and on the relationship between scripture and tradition. Significant agreement could be achieved in both questions, yet in two methodologically different approaches. Those different approaches do not only reflect an inner Protestant debate about the method and goal of ecumenical dialogue, but also point to different concerns in interpreting the notion of revelation itself.


EILERT HERMS
Das Ökumenimusdekret. Sein Ort in der Lehre des Zweiten Vatikanums und seine heutige Bedeutung

Der Aufsatz analysiert das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio und zeigt, dass hier ein Lehrkonzept mit präzisen Grundsätzen und inneren Zusammenhängen zu den dogmatischen Hauptdokumenten des Konzils entfaltet wurde. Die orientierende Wirkung dieses Konzepts für die nachkonziliare röm.-kath. Kirche wird nachgezeichnet. Für die evangelischen Kirchen liege die Bedeutung des Dekrets in der Aufgabe, die konfessionell-lehrhaften Grundlagen des Ökumenismus zu respektieren sowie „eine fundamentaltheologische Synthese ihres Dogmenbestandes und seiner lehrmäßigen Entfaltung“ vorzunehmen. Es gehe um den theologischen Grund, dessen Wirklichkeit die jeweiligen Konfessionskirchen veranlassen kann, „in der schon realen Einheit der Kirche die ordentlich praktizierte Gemeinschaft auszuweiten“.

The paper analyzes the Decree on Ecumenism Unitatis redintegratio and shows that a teaching concept with precise principles and internal contexts was deployed to the dogmatic main documents of the Council. The orienting effect of this concept for the post-conciliar Roman Catholic Church is traced. For the Protestant churches, the importance of the decree lies in the need to respect the religiously-doctrinal foundations of ecumenism and to carry out a “fundamentally theological synthesis of their dogmas portfolio and its doctrinal development.” It is about the theological reason, the reality of which can induce the respective denominational churches “to extend the duly practiced community in the already real unity of the church.”


REINHARD FRIELING
Das universale Amt als Zeichen und Werkzeug der Einheit

Alle nicht-römisch-katholischen Kirchen fragen, ob und wie eine universale Einheit der Kirche nach dem II. Vatikanum als „Gemeinschaft mit, aber nicht unter dem Papst“ möglich ist.

All non-Roman Catholic ask whether and how it is possible to establish a universal unity of the church after Vaticanum II as “Communion with, but not under the Pope.”


REINHOLD BERNHARDT
Dialog und Theologie der Religionen. Zur evangelischen Rezeption der Religionstheologie von Nostra aetate

Der Beitrag zeichnet die Rezeptionsgeschichte der Konzilserklärung Nostra aetate in der evangelischen Theologie nach. Im ersten Teil geht es um das Verhältnis der Kirche zum Judentum, das in Artikel 4 der Erklärung behandelt wird und das schon während des Konzils heftige Debatten auslöste. Im zweiten Teil steht die Neujustierung der Beziehungsbestimmung zu den anderen Religionen zur Debatte, von der ein starker Impuls auf die Diskussion um eine „Theologie der Religionen“ ausging. Zum Schluss wird auf die Auseinandersetzungen hingewiesen, die es um die Bestimmung des Verhältnisses zwischen diesen beiden Themenkreisen gab.

The paper examines how the declaration Nostra aetate was received in the subsequent debates in Protestant theology. The first part deals with the relation between the church and Judaism as presented in article 4 of the declaration. Already during the council, that issue gave rise to controversy. The second part shows how the newly defined relationship to the other religions stimulated discussions on “theology of religions.” In the final chapter, the dispute about interrelating both topics – “theology of Israel” and “theology of religions” – is sketched.


CILLIERS BREYTENBACH
Das II. Vatikanische Konzil und „evangelische“ Exegese des Neuen Testaments

Der Aufsatz untersucht den Einfluss, den die katholische neutestamentliche Forschung seit dem 2. Vatikanum auf die deutschsprachige protestantische Exegese ausgeübt hat. Dabei wird die Bedeutung der führenden katholischen Forscher wie R.E. Brown, J.A. Fitzmyer, F. Mußner, F. Neirynck, R. Schnackenburg, H. Schürmann, A. Vögtle und P. Hoffmann und deren Schülern dargestellt, wie auch die Wirkung der exegetischen Kolloquia wie des Colloquium Biblicum Lovaniense und des ökumenischen Colloquium Paulinum in Rom aufgezeigt.

This essay reviews the influence Catholic New Testament scholarship had on German Protestant exegesis since Vaticanum II. The influence of leading Catholic scholars like R.E. Brown, J.A. Fitzmyer, F. Mußner, F. Neirynck, R. Schnackenburg, H. Schürmann, A. Vögtle, and P. Hoffmann and of their students, as well as the importance of exegetical colloquia like the Colloquium Biblicum in Louvain and the ecumenical Colloquium Paulinum in Rome are highlighted.


BERND OBERDORFER
Ein anderes Gegenüber? Protestantische Dogmatik nach dem II. Vatikanum

Hat das II. Vatikanum die protestantische Dogmatik beeinflusst? Nach hermeneutischen Überlegungen zur Bedeutung der Entwicklungen in anderen Konfessionen für die protestantische Dogmatik behandelt der Beitrag zunächst Karl Barths Reaktion auf das II. Vatikanum, vergleicht dann Pannenbergs „Systematische Theologie“ und Langes „Glaubenslehre“ als zwei signifikant unterschiedliche dogmatische Lehrbücher und stellt schließlich das neue Genre der „Ökumenischen Dogmatik“ anhand der Entwürfe von Schlink und Bienert/Kühn vor.

Did the Second Vatican Council influence Protestant dogmatics? The paper starts with general hermeneutical reflections on if or how the doctrinal developments in other denominations can have impact on Protestant dogmatics. Then, it discusses Karl Barth’s early comments on the Council, compares Pannenberg’s “Systematic Theology” and Lange’s „Glaubenslehre“ which significantly differ referring to that question, and tackles the new genre of “Ecumenical Dogmatic,” introducing the respective works of Schlink and Bienert/Kühn.


JOSEF WOHLMUTH
Erwartungen an eine künftige evangelische Rezeption des Zweiten Vatikanums aus katholischer Sicht

Auf dem Hintergrund der kath. Rezeption des Zweiten Vatikanums, das für Akzeptanz bei den anderen christlichen Kirchen warb, plädiert der Beitrag für eine Konsensökumene durch offizielle Rezeption, für gemeinsame Anstrengungen im Verhältnis von Kirche und Judentum, für intensiveres Gespräch über die Kirche und die Feier ihrer Liturgien. Das Glaubensbekenntnis als Basis für die Einheit der Kirchen nährt die Utopie eines kommenden ökumenischen Konzils, das die Einheit der Kirchen in versöhnter Unterscheidbarkeit feiern wird.

Looking at the Catholic reception of the Second Vatican Council, which desired to be more acceptable by the Protestant Churches, the paper pleads for more ecumenical spirit by official reception of reached ecumenical consents, more common affords in relationships between Church and Israel, and more discussion about ecclesiastical essentials and reformed liturgies. The Creed of Nicaea and Constantinople, as the basis for Christian unity, nurture the utopia of a future Ecumenical Council, which will celebrate the unity of churches in reconciled diversi(bili)ty.


MARKUS DRÖGE
Das Zweite Vaticanum ökumenisch erinnern

Der Beitrag zeichnet die ökumenischen Entwicklungen seit dem Zweiten Vaticanum aus evangelischer Perspektive kritisch nach. Er stellt die These auf, dass wesentliche Fortschritte in der römisch-katholisch/evangelischen Ökumene nur dann zu erzielen sind, wenn die beiden Kirchen sich in ihrer jeweiligen Reformbedürftigkeit neu auf Jesus Christus konzentrieren und wenn das ökumenisch-theologische Gespräch sich der Aufgabe stellt, den Begriff der Apostolizität neu zu interpretieren.

This article gives a critical evaluation of the development of ecumenical relations since Vatican II from a Protestant perspective. The thesis is that, first of all, one can only achieve substantial progress in Roman Catholic–Protestant ecumenical relations when both churches, given that they are both in need of respective reform, focus on Jesus Christ anew. Secondly, their ecumenical-theological dialogue has to address the task of working out a new interpretation of the concept of apostolicity.