Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

23. Jahrgang, Heft 2/2006

Das öffentliche Gesicht der Religion(en)


CHRISTOPH UEHLLINGER
Visible Religion und die Sichtbarkeit von Religion(en). Voraussetzungen, Anknüpfungsprobleme, Wiederaufnahme eines religionswissenschaftlichen Forschungsprogramms

Visible Religion, ein internationales Jahrbuch für religiöse Ikonographie, publizierte zwischen 1982 und 1990 wichtige Beiträge zur historischen und systematischen Religionswissenschaft. Der vorliegende Artikel fragt nach Gründen dafür, warum das Jahrbuch offenbar trotz visual turn in der zeitgenössischen Religionswissenschaft nicht Fuß fassen konnte, und skizziert Perspektiven für die Wiederaufnahme des Programms im Kontext neuerer Diskussionen zu visueller Anthropologie und visual culture, Religionsaisthetik und Ritualistik und aktueller Debatten zum Status von sichtbaren Zeichen religiöser Zugehörigkeit in der Öffentlichkeit. Weitet man das Forschungsanliegen über die Erforschung religiöser Ikonographie hinaus auf die Frage nach visueller Kommunikation und traditions- bzw. gruppenspezifischen Blick-Kulturen, so eröffnet sich ein viel versprechendes Feld für interdisziplinäre Forschungen, die historische und systematische, geistes- und sozialwissenschaftliche Fragestellungen miteinander verknüpfen.

The article looks back at Visible Religion, a yearbook on religious iconography that appeared between 1982 and 1990, examines some possible reasons why it failed to take a firm hold in the scientific study of religions, and sketches perspectives for its rehabilitation in the context of a permanent scholarly interest in visual anthropology and culture, ritual studies, media and communication studies. Reaching beyond an exclusive concern for religious iconography, opening up towards visual communication and cultures of gaze, Visible Religion could open a promising field of interdisciplinary research bridging the widening gap between human and social sciences.


ULRICH DEHN
Die ästhetische Codierung der Wirklichkeit. Zur Typologie von religiösen Seh- und Hörkulturen

Seh- und Hörkulturen werden als fast allen religiösen Traditionen zu eigener Modus des religiösen Verhaltens begriffen und in drei Typen, den offenbarerischlegitimatorischen, den ästhetischen und den rituell-lebensweltlichen unterteilt. Diese Typen lassen sich in unterschiedlicher Weise der allgemeinen Funktion von Religionen zuordnen, eine Verhältnisbestimmung und Verhaltenskompetenz von Menschen gegenüber der Wirklichkeit zu ermöglichen. Sie werden entsprechend den semiotischen Theorien von Umberto Eco und Roland Barthes als „Zeichen“ der Wirklichkeit verstanden.

Cultures of seeing and hearing are understood as being essential part of almost all religious traditions and religious behaviour, and being defined as the paradigm with revelatory and legitimative function, the aesthetic paradigm, and the paradigm of rituals and daily life religious behaviour. Being examined under religions’ general function to facilitate human relationship and behaviour towards reality, the three paradigms in their respective way contribute to this facilitation signifying reality as the signified one, according to the semiotic theories of Umberto Eco and Roland Barthes.


MICHAEL WERMKE
Mythos, Gewalt und Religion. Ein Beitrag zur mythentheoretische Analyse des populären Kinofilms

Der Beitrag liefert auf Grundlage der mythentheoretischen Konzepte von Joseph Campbell und René Girard eine kritische Analyse der Erzählstruktur des populären Spielfilms. Hierbei wird die Bedeutung des sog. „Monomythos“ (J. Campbell) als Grundstruktur des Erfolgskinos (Chr. Vogler) an zwei ausgewählten Beispielen untersucht und der christlichen Dekonstruktion des Opfermythos gegenüber gestellt. Praktisch-theologische Schlussfolgerungen schließen den Beitrag.

This article gives a critical analysis of the narrative structure of popular movies by using the theoretical concepts of myths by Joseph Campbell and René Girard. By doing so, the meaning of the so-called “mono myth” (J. Campbell) as the basic structure of successful cinema (Chr. Vogler) is analysed with two examples and confronted with the Christian deconstruction of a sacrificial myth. The article ends with practical-theological conclusions.


UDO TWORUSCHKA
Religion(en) und Radio. Der Hörfunk als religionswissenschaftliche Quelle. Ein Beitrag zur Praktischen Religionswissenschaft

Der Beitrag beschäftigt sich mit einem in der Religionswissenschaft bisher weitgehend unerforschten Thema, dem Hörfunk, der als Quelle religionswissenschaftlicher Arbeit erschlossen werden soll. Radiobeiträge sind für die religionswissenschaftliche Forschung nutzbar, weil sie (religionsgeschichtliche) Quellen enthalten, zugleich aber auch selbst Quellen sind. Zu Beginn des Artikels wird ein Überblick über den Forschungsstand zum Thema Religion(en) und Medien gegeben. Der Autor tritt für einen audible turn in der Religionswissenschaft ein. Im zweiten Teil stellt der Autor einen eigenen Ansatz für die methodische Erschließung des Gesamtmaterials nach religionssystematischen Kriterien vor. Den Abschluss bildet die Forderung nach der Entwicklung einer hörfunkspezifischen Hermeneutik, welche die unterschiedlichen Formen der Radiobeiträge, die Problematik ihrer Analyse sowie die ideologischen Ziele der „Macher“ berücksichtigt.

The article deals with a subject that is still marginalized in the German Religious Studies (Religionswissenschaft), the radio that shall be developed as a source for research. Radio broadcasts could be utilized for it for two reasons: they contain historical sources of religions and they are sources at the same time. The author pleads for an audible turn in the Religious Studies. At first the article gives an overview of the subject of religion(s) and media. After that the author presents his considerations for developing an own method that helps systematizing the whole material. Finally the contribution demands for a development of a radio-specific hermeneutics considering the different forms of the radio broadcasts and the problematic of its analysis as well as the producers’ ideological aims.


WOLFRAM REISS/PIA ZUMBRINK
Wie sehen die Religionen sich gegenseitig in ihren Schulbüchern?

I. Das Bild des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder (W. Reiss): Der Beitrag präsentiert die Hauptergebnisse des Forschungsprojektes „Die Darstellung des Christentums in islamisch geprägten Ländern“, bei dem die aktuellen Schulbücher der Länder Ägypten, Palästina, Türkei und Iran im Detail analysiert wurden. Zudem weist der Artikel auf die Möglichkeiten und Grenzen der Debatte über Curriculumsrevision in diesen Ländern hin.

The paper presents the main findings and results of the German project “The Presentation of Christianity in Textbooks of Mainly Islamic Countries” and the perspectives of the debate on curriculum revision in Palestine, Egypt, Turkey, and Iran.

II. Das Islambild evangelischer und katholischer Schulbücher der Bundesrepublik Deutschland (P. Zumbrink): Die Ereignisse des 11. September 2001 haben die Beziehungen zwischen dem islamischen Kulturraum und der westlichen Welt stark belastet. Fragen der wechselseitigen Wahrnehmung haben wieder erhöhte Relevanz erlangt. Auch das Problem, wie deutsche Schulbücher mit islamischer Religion und Kultur umgehen, gewinnt an Bedeutung. Der vorliegende Beitrag analysiert evangelische und katholische Religionsbücher der Jahre 1995 bis 2002. Hatten frühere Analysen der 1980er Jahre noch erhebliche Defizite in der Behandlung des Islam ausgemacht, so fällt das Bild heute ungleich differenzierter aus. Die Schulbücher bemühen sich in der Regel um eine ausgewogenen und angemessene Darstellung der islamischen Religion und Kultur. Nach wie vor finden sich jedoch Sachfehler, aber auch Deutungen islamischer Religionsprinzipien weichen oftmals vom islamischen Selbstverständnis ab. Auch reflektieren einige Schulbücher die mittlerweile in Deutschland anzutreffende soziale und konfessionelle Pluralität der muslimischen Bevölkerung nicht hinreichend.

The events of the 11 September 2001 have caused tensions in the relationship between the Islamic cultural sphere and the western world. Questions of mutual perception have become again more relevant. Also the problem of how German textbooks deal with Islamic religion and culture is gaining in importance. This article analyses textbooks of religious education (Protestant and Catholic) published between 1995 and 2002. Whereas former analyses from the 1980s had still 262 Pia Zumbrink revealed considerable deficits in the treatment of Islam, today the view is much more differentiated. The analysed textbooks generally offer an well-balanced and adequate presentation of the Islamic religion and culture. Nevertheless, there are still existing shortcomings, such as inaccuracies, but also interpretations of Islamic religious priciples, which differ from the Islamic self-image. Furthermore, the textbooks do not sufficiently reflect the social and religious plurality of the Muslim population in today’s Germany.


PETER J. BRÄUNLEIN
Religion in „kultlichen und rituellen Ausdrucksmitteln“. Die Religionskundliche Sammlung der Philipps-Universität Marburg

Die Marburger Religionskundliche Sammlung ist die einzige museale Institution Deutschlands, die Darstellung und Vermittlung religiöser Vielfalt programmatisch in den Mittelpunkt stellt. Religion wird hier weder als „Kultur“ noch als „Kunst“ repräsentiert und zudem kein Missionsanspruch vertreten. Der Autor schildert die Geschichte der Sammlung, die 1927 durch den Religionsphilosophen Rudolf Otto gegründet wurde, und stellt Aufgaben und Konzept der gegenwärtigen Ausstellung für Lehre und Forschung vor.

The Marburg Museum of Religions is unique in Germany, because it focuses exclusively on “religions”, and neither on “culture” (as in ethnographic collections) nor (Islamic, Egyptian, Indian, East-Asian) “art” nor Christian mission. Plurality of religions is programmatic. The author portraits the ambitions of the founder, philosopher of religion Rudolf Otto, and describes the institutional history from 1927 to the present. The concept of the presentation is depicted as well as the functions and possibilities of the collection for research and education.


HUBERT MOHR
Das Medienprojekt „Religionswissenschaft“ am Studiengang Religionswissenschaft/Religionspädagogik der Universität Bremen

Der Artikel dokumentiert Geschichte, Aufgabenstellung und Arbeitsgebiete des „Medienprojekts Religionswissenschaft“ an der Universität Bremen.

This article documents the history, the conception and the field of activity of the “Medienprojekt Religionswissenschaften” (media project religious sciences) at the university of Bremen.


GERNOT MEIER
Religion meets Internet. Plädoyer für einen differenzierten Umgang mit einem neuen Forschungsfeld

Die Medienverbundmaschine Internet erfordert auf methodologischer und methodischer Ebene die Entwicklung und Etablierung neuer Forschungsdesigns, um Daten aus der Religionsgeschichte in ihren globalen Kontexten und Diskursen zu analysieren. Hierzu werden im vorliegenden Artikel einige Probleme und Forschungsansätze aufgezeigt und auf Grund der ersten Befunde im Internet die grundsätzliche Frage nach der Dynamik in religiösen Clustern gestellt.

The media network engine of the Internet requires the development and establishment of new research scenarios at the methodological and methodical level in order to analyse data from the history of religion in its global contexts and discourses. With this in mind, this article will look at some problems and research approaches. Based on the first Internet findings, it will also consider the fundamental issue of the dynamics of religious clusters.