Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

18. Jahrgang, Heft 2/2001

Ökumene


THEODOR DIETER
Die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Ein ökumenischer Meilenstein

Im Aufsatz werden eine Reihe von grundlegenden Problemen, die in der Diskussion um die "Gemeinsame Erklärung" eine Rolle gespielt haben, untersucht: die Frage verbindlicher kirchlicher Stellungnahmen zu Lehrfragen, das Verhältnis von Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, das Modell des "differenzierten Konsenses", das Verhältnis von Konsens und Nichtanwendbarkeit von Lehrverurteilungen. Abschließend wird eine Metakritik der Kritik am "Annex" unternommen.

This article investigates some basic problems which have come up during the debate on the Joint Declaration: binding statements of the churches on doctrinal matters, the relation between doctrinal consensus and church felllowship, the concept of the so-called differentiated consensus, and the relation between consensus and the non-applicability of condemnations. Finally, it offers a critical analysis of the criticism of the "Annex" to the Joint Declaration.


JOHANNES WALLMANN
Die Demontage einer fast fertigen Brücke

Der ökumenische Versöhnungsakt vom 31. Oktober 1999, bei dem in Augsburg der Lutherische Weltbund und der vatikanische Rat für die Förderung der Einheit der Christen eine "Gemeinsame Offizielle Feststellung" (OFG) unterzeichneten, mit der die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (GE) "bestätigt" wurde, hat nicht zu der erwarteten größeren Annäherung der Kirchen geführt. Statt dessen hat sich das ökumenische Klima drastisch verschlechtert. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass dieser Klimasturz und das Wiederaufleben konfessioneller Polemik nicht im Gegensatz zu den ökumenischen Konsensbemühungen stehen. Bereits im Prozess der kirchlichen Rezeption fand eine ständige Demontage der "Gemeinsame Erklärung" statt, die diesem Brückenbau schließlich alle Tragfähigkeit nahm. Der Augsburger Versöhnungsakt war ein symbolischer Akt für das Fernsehen, der nichts für das kirchliche Leben brachte.

When on 31 Oct 1999 in Augsburg representatives of the Lutheran World Federation and of the Roman Catholic Church signed the "Common Official Statement" and thus "confirmed" the "Joint Declaration on the Doctrine of Justification", this ceremony was supposed to improve the relationship between the Roman Catholic Church and the Lutheran Churches and to serve a decisive step towards full communion of the two churches. What we have observed instead is a drastic deterioration of the ecumenical climate and a renewal of old confessional antagonism. However, this development should not come as a surprise. As the essay shows, it is not a variance with the process of formulation and reception of the documents JDDJ and COD itself. From the beginning this process was at same time a process of dismantling which only left torso - "Augsburg" being an act for TV rather than for the churches' life.


HEINRICH HOLZE
"Eine besonders wichtige Institution in der Alten Kirche". Die Überprüfung eines ökumenischen Arguments im Bericht der Internationalen anglikanisch-lutherischen Kommission "Der Diakonat als ökumenische Chance"

In den ökumenischen Dialogen spielt der Verweis auf die Alte Kirche eine grundsätzliche Rolle. Auch in dem Bericht der Internationalen anglikanisch-lutherischen Kommission "Der Diakonat als ökumenische Chance" wird der Anstoß zu einer Erneuerung des Diakonates mit der normativen Bedeutung des altkirchlichen Erbes begründet. Der Aufsatz zeigt, dass dieser Anspruch der Vielfalt unterschiedlicher Traditionen zum Diakonat nicht gerecht wird. Erst im hohen Mittelalter wird eine normierende Perspektive entwickelt, die auch die Auswahl der in dem Hannover-Bericht herangezogenen Quellen bestimmt.

In the Ecumenical Dialogues the reference to the Early Church plays a central role. This is illustrated by the report of the International Anglican-Lutheran Commission "The Diaconate as Ecumenical Opportunity" which calls for a renewal of the diaconate by referring to the normative heritage of the first centuries. The author argues that this reference does not do justice to the multiplicity of early Christian traditions. He points out that the focus of the Hanover-Report is not the Early Church but the Middle Ages when the diaconate got its final hierarchical status.


INGE MAGER
Der Beitrag des David Chytraeus zur Entstehung und Rezeption der Konkordienformel

Die zwischen 1568 und 1577 entstandene Konkordienformel hat auf dem langen Wege ihrer Entstehung mehrere Metamorphosen durchlaufen. An der Umgestaltung der Schwäbischen zur Schwäbisch-Sächsischen Konkordie war von Ende 1574 bis zum Herbst 1575 unter anderem David Chytraeus in Rostock beteiligt. Insbesondere dem Artikel über den menschlichen Willen verlieh er melanchthonische Akzente. Diese wurden in der Endfassung weitgehend wieder getilgt. Trotzdem trug Chytraeus die ihm inhaltlich nicht mehr entsprechende Bekenntnisschrift ohne Zögern mit, weil er Theologie mit eschatologischem Vorbehalt trieb und die letzten Enthüllungen über die Glaubenswahrheiten von der himmlischen Akademie erwartete.

During the process of its development between 1568 and 1577 the Formula Concordiae was subject to a number of metamorphic changes. Among others, David Chytraeus contributed to the transformation of the Swabian into the Swabian-Saxonian Concordia from October 1574 until the autumn of 1575. He added melanchthonic accents particularly on the article concerning the free human will. These were mostly obliterated in the final version. Eventhough the Formula of Concord in the end did not carry his substantial interests, Chytraeus patronized it unquestioningly, exercising theology under eschatological premises and expecting the last revelations on the truth of faith in the celestial academy.


RISTO SAARINEN
Ostkirchen und Ökumene am Ende des 20. Jahrhunderts

Die Einbindung der Ostkirche in die ökumenische Bewegung ist schwierig und von Spannungen und Rückschlägen begleitet. Der Autor untersucht vor diesem Hintergrund verschiedene Fortschritte in Dialog- und Erneuerungsprozessen, um eine ökumenische Diagnose zu geben. Die zeigt die partiell sich widersprechenden Entwicklungen in der ökumenischen Aktivität auf. Dass aber in den Ostkirchen der "echten ökumenischen Theologie" hohes Gewicht beigemessen wird, kann nicht bestritten werden. Von diesen ökumenischen Entwicklungen her müssen sich auch die evangelischen Kirchen gezwungen sehen, selbstkritisch nach ihrer Kernlehre und deren Praxisbezug zu fragen.

The integration of the Eastern Churches into the ecumenical movement has proven to be quite difficult, accompanied by tensions and setbacks. In view of this, the author analyses several recent improvements in the course of various dialogues and renewals. His aim is to provide an ecumenical 'diagnosis' which shows what are in part contradictory developments within the framework of ecumenical engagement. Yet, it cannot be doubted that "authentic ecumenical theology" is seen to be an important matter within the Eastern Churches. In light of these ecumenical developments, a strong necessity has also arisen for the Protestant Churches to formulate a critical perspective regarding their own core teaching and its practical relevance.


FRIEDRICH-OTTO SCHARBAU
Konfessionalität und Einheit der Kirche. Zur Frage der Übersichtlichkeit des Protestantismus in Deutschland

Konfessionen kann man nicht beseitigen; sie gehören zur geschichtlichen Gestalt der Kirche dazu. Sie sind kein Selbstzweck, sondern Interpretationen des christlichen Glaubens und darum unverzichtbar für eine Kirche, die sich als missionarische versteht. Keine Kirche kann auf die Bestimmung ihrer konfessionellen Identität verzichten. Mit der Bestimmung ihrer konfessionellen Identität trifft sie zugleich eine Aussage zu ihrer Apostolizität. Konfession, die auf die Behauptung der Kontinuität zum Zeugnis der Apostel verzichten würde, würde aufhören, an der Einheit der Kirche im Sinne der Unitas der altkirchlichen Bekenntnisse zu partizipieren. Das Verhältnis von Konfessionalität und Einheit wird nur dann richtig wahrgenommen, wenn Confessio stets rückgebunden wird an die ursprüngliche Bezeugung des Evangeliums in der traditio apostolica und zugleich verstanden wird als Weitergabe des Glaubens, zu der dessen zeitgemäße kreative Interpretation gehört.

Denominations are not to be abolished. They are part of the historically grown institutions of the christian faith, and, therefore, can not be given up by a church which understands herself as a missionary one. No church can give up the definition of her demoninational identity. Together with the definition of her denominational identity the church gives a testimony about her apostolicity. A denomination, which does not claim the continuity with the doctrine of the apostels, would stop participating in the unity of the Church in the sense of the ecumenical creeds. The relation between denomination and unity of the Church will be correctly observed, if the Denominational Confession is related to the authentic proclamation of the gospel in the "traditio apostolica" and, at the same time, is understood as a tradition of the faith, to which its contemporary creative interpretation belongs.


WOLF KRÖTKE
Wie weit kann Entchristlichung gehen? Deutemuster eines ostdeutschen Phänomens

Die Frage nach der "Entchristlichung" einer Gesellschaft ruft auch die nach einer möglichen "Verchristlichung" auf. Beide Begriffe sind ambivalent. Die vornehmlich im Westen Deutschlands beobachtete "Entchristlichung unter dem Schein des Christlichen" wird gemeinsam mit den ostdeutschen Phänomenen von Antichristlichkeit, christlichem Traditionsabbruch und massenhafter Gottesvergessenheit ausgeleuchtet. Der gewöhnliche Massenatheismus beruht auf dem Prinzip, um keinen Preis auffällig zu werden. In einer Zeit der Erschlaffung und Gleichgültigkeit gegen Fragen des Christseins haben auch Christen die Verantwortung für das Vergessen Gottes zu übernehmen, um in neuer Weise die Lebensdimensionen einer Beziehung auf Gott, individuell und gesellschaftsweit, zu erschließen.