Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

24. Jahrgang, Heft 2/2007

Ethik des Alltäglichen


WOLFGANG VÖGELE
Freiheit - Entscheidung - Gewohnheit - Frömmigkeit. Anmerkungen zum Projekt einer theologischen Alltagsethik

Anhand der szenischen Aufführung von mehreren Bachkantaten in Stuttgart fragt der Essay nach dem theologischen Projekt einer Alltagsethik. Diese wird verstanden als ethische Reflexion täglicher Gewohnheiten und Routinen. In dieser Perspektive wird der alte Diskurs über Frömmigkeit und Spiritualität aufgenommen und mit aktuellen philosophischen und populären Entwürfen der Alltagsethik ins Gespräch gebracht.

Relating to the presentation of six Bach cantatas in the Staatstheater in Stuttgart the essay discusses the theological project of “Alltagsethik”. “Alltagsethik” is understood as the ethical reflection of daily routines and habits. In this perspective the discourse on spirituality and piety is transformed. “Alltagsethik” enables theology to take up the dialogue with popular and philosophical reflections on “Alltagsethik”.


UWE BECKER
Eine kleine alttestamentliche Ethik des "Alltäglichen"

Nach allgemeinen Erwägungen zur Eigenart und zur Begründung einer Ethik des Alten Testaments stellt der Beitrag zwei Quellen für eine alttestamentliche Ethik des Alltäglichen vor, die eher implizit ein bestimmtes Wertesystem vermitteln: die Erzählungen (z.B. 2 Sam 11–12) und die Weisheitsliteratur. Beide Textbereiche heben sich mit guten Gründen von der offenbarungstheologisch begründeten expliziten Ethik in den Rechtsüberlieferungen ab.

After some general reflections on the character and the basis of Old Testament ethics the essay gives a brief description of two sources for an Old Testament “everyday ethics” that represent a particular moral system in a rather implicit manner: the narratives (cf. 2 Sam 11–12) and the wisdom literature. Both areas contrast with the “positive” and “explicit” ethics of the Old Testament law.


HERMUT LÖHR
Gottesdienst im Alltag dieser Welt. Ein Beitrag zu einer künftigen „Ethik des Neuen Testaments“

Die Alltagsethik des Neuen Testaments ist durch ökumenische Weite und zeitliche Begrenzung durch die Parusie geprägt. Wesentliche soziale Felder der ethischen Bewährung sind Haus und Gemeinde, für die Tugenden und Güter benannt werden. Es lassen sich Elemente eines Programms ethischer Selbstsorge im Neuen Testament entdecken.

The everyday ethics of the New Testament show ecumenical width and temporal limitation caused by the expectation of the parousia. House and congregation are the most important social fields of ethical challenge, for which virtues and goods are adduced. One can also find elements of a program of ethical self-care in the New Testament.


WOLF KRÖTKE
Sport als inszenierte Wiederholung des alltäglichen Lebens. Motive und Problematik der massenhaften Sportbegeisterung in theologischer Perspektive

Die Sportbegeisterung ist in unserer Gesellschaft ein Massenphänomen. Millionen Menschen treiben Sport und nehmen als Zuschauer am Sport Anteil. Warum ist das so? In Auseinandersetzung mit der Rede von einer „Partnerschaft“ zwischen der Kirche und dem organisierten Sport einerseits und der Beurteilung des Sports als „Dämonie“ andererseits (K. Barth) wird hier die These vertreten, dass am Sport als leiblicher Betätigung die inszenierte, spielerische Wiederholung des alltäglichen Lebens nach einfachen Regeln fasziniert. Diese These wird durch eine Beschreibung der Realität des Sportvollzuges untermauert, wobei besonders auf das ethisch bedenkliche Moment des Kampfes hingewiesen wird. Der Sport braucht deshalb und aufgrund seiner Gefährdungen durch Ideologisierung, Kommerzialisierung und Pseudoreligiosität ein Ethos, wie es im Prinzip des Fair-Play zum Ausdruck kommt. Es macht Selbstdistanzierung zur Bedingung gelingenden Sports, der Menschen spielerisch zum Umgang mit Grenzen befähigt – einer Tugend, die auch in der christlichen Gemeinde Hochschätzung verdient.

In our society enthusiasm for sports is a mass phenomenon. Millions of people are going in for sports or are watching it. Why? Debating on a speech about “partnership” between church and the organized sports on the one hand rating sports as “Dämonie” (K. Barth) on the other hand the following thesis is represented: The fascinating aspect about sports as physical activity is the performed and playful repetition of every day life by simple rules. This thesis is confirmed by describing of how to take exercises in reality especially pointing out the ethical precarious issue of fighting. For that reason and due to the threat of ideologization, commercialization and pseudo-religiousness sports need an ethos like the principle of fair-play. This makes self-alienation a condition of successful sports that easily enables people to deal with limits – a virtue that is also appreciated in the Christian Community.


PIERRE BÜHLER
Humor als Alltagsweisheit

Dieser Aufsatz versucht zu zeigen, wie Humor als eine Alltagsweisheit bestimmt werden kann, mit der sich auch eine Ethik des Alltags verbinden lässt. Mit Hilfe von Ansätzen aus der Hermeneutik Ricoeurs und der Theorie des Humors von Koestler und Fourastié wird Humor als befreiende Verfremdung verstanden. Dadurch lässt er sich auch mit Religion verknüpfen (Kierkegaard) und kann zum Ausdruck christlicher Freiheit werden (Luther).

This paper tries to show how humor can be understood as a daily life wisdom, connected also with an ethics for daily life. With the help of Ricoeur’s hermeneutics and Koestler’s and Fourastié’s theory of humor, humor is defined as a liberating distantness. That allows to establish a relationship between humor and religion (Kierkegaard) and to interpret humor as an expression of Christian freedom (Luther).


MARTIN LEINER
Der homo zappiens als homo sapiens, oder: über eine gewisse Unmöglichkeit fernzusehen und dennoch bei sich selbst zu bleiben. Prinzipien einer christlichen Ethik der Mediennutzung

Alltagsleben ist heute mehr denn je Leben mit und durch die Medien. Neuere Studien zeigen, dass in Deutschland die Mediennutzungszeit weiter steigt, während die inhaltliche Qualität sinkt. Medien verändern das Wirklichkeitsverständnis. Auf diesem Hintergrund skizziert der Artikel fünf Prinzipien einer christlichen Mediennutzerethik.

Today, every day life is life with media and through media. Recent studies in Germany show that the time people pass to watch television is still increasing, while the quality of media is diminishing. Media are changing the conception of reality. On the basis of this development, this articles sketches five principles of a Christian ethics for the consumption of media.


PHILIPP STOELLGER
Nachdenklichkeit. Zur ethischen Bedeutung einer mehr als notwendigen Befindlichkeit

Nachdenklichkeit ist eine ‚mehr als notwendige Befindlichkeit‘ nicht nur in ethischen Zusammenhängen. Denn Entscheidungen stehen in der Regel unter Zeitdruck, demgegenüber es eines Raums zur Besinnung und der Distanz bedarf. Um nicht nur in Selbstbestimmung zu leben, sind kreative Fremdbestimmungen hilfreich, Unterbrechungen, die das Selbst vor bloßer Selbstbezüglichkeit bewahren können. Solch einen Raum zur Nachdenklichkeit können Geschichten eröffnen, die unsere Selbstverständlichkeiten irritieren und ein kreatives Zögern freisetzen, das neue Möglichkeiten des Lebens in den Sinn kommen lässt.

Thoughtfulness is ‚a state of mind more than necessary’ in ethical contexts. In general decisions are made under pressure of time. For this reason there must be space for contemplation and distance as well. To avoid living only in self-determination, creative heteronomy is useful as an interruption helping the Self to keep from self-referentiality. Such spaces for reflection can be opened by stories irritating our matter of course and causing a creative hesitation that opens our mind for new possibilities of life.


Visitationen


HANS-MARTIN RIEGER
Der ewig unfertige Mensch. Medizinische und theologische Anthropologie im Gespräch

Vor dem aktuellen Hintergrund eines weitgehenden Ausfalls anthropologischer Reflexionen in der Medizin untersucht der Aufsatz die medizinische Anthropologie des Arztes und Mediziners Viktor von Weizsäcker (1886–1957) und fragt nach entsprechenden Strukturen theologischer Anthropologie. Zentrale Kategorien wie die pathische Auffassung des Menschen, seine Temporalität und seine leibliche Abhängigkeit werden erklärt. Sie führen zu einem spezifischen Verständnis von Gesundheit bzw. Krankheit und zu einer spezifischen Sicht des Menschen als unfertiges Wesen.

Against the background of the absence of anthropological reflections in medicine, this paper investigates the medicinal anthropology of the physician Viktor von Weizsäcker (1886–1957) and asks for correspondenting structures in theological anthropology. Central categories like the ‘pathic’ definition of the human, his temporality and his dependence on body are explained. They lead to a specific understanding of health resp. illness and to a specific view of the human being as an imperfect being.


ELKE AXMACHER
Der Übermensch – der letzte Mensch, oder: Was Nietzsche der Theologie zu denken gibt

Der als Abschlussvorlesung an der Universität Bielefeld am 9.2.2006 gehaltene Vortrag bringt Texte miteinander ins Gespräch, die für die Autorin lebensgeschichtliche Bedeutung hatten. Ausgehend von Nietzsches „tollem Menschen“, der den Tod Gottes verkündet, wird versucht, aus Texten von Marie Luise Kaschnitz und Valentin Weigel Ansätze für ein theologisches Verständnis des Menschen jenseits von „Übermensch“ und „letztem Menschen“ zu gewinnen.

This address, given as a farewell lecture at the University of Bielefeld, puts into mutual relationship a series of texts which have been of particular relevance to the author. Starting from Nietzsche’s “madman”, who proclaims the death of God, she endeavours to find in the texts by Marie Luise Kaschnitz and Valentin Weigel an insight into the theological understanding of man beyond “superman” and “last man”.


Rede zur Eröffnung des neuen Gebäudes der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin


WOLFGANG SCHÄUBLE
Vom Sinn universitärer Theologie in einer globalisierten Welt