Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

33. Jahrgang, Heft 2/2016

Xenophobie/Migration/Fremdheitserfahrung

 

HEINRICH BEDFORD-STROHM
Ethisch-theologische Aspekte der Migration


Der Aufsatz beschreibt auf dem Hintergrund der aktuellen Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen in Deutschland die ethischen Herausforderungen im Umgang mit Flucht und Migration aus der Sicht christlicher Ethik. Zunächst werden biblische Grundorientierungen reflektiert. Dabei spielt neben der Gottebenbildlichkeit die in der Erfahrung der eigenen Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten verwurzelte Ethik der Empathie eine besondere Rolle, die als Grundlage der eng miteinander verbundenen Deutungen von Doppelgebot der Liebe und Goldener Regel im neuen Testament gesehen wird. Anhand der Diskussion von Max Webers Verständnis von Gesinnungs- und Verantwortungsethik sowie einer Reflexion der lutherischen Zwei-Regimente-Lehre wird gezeigt, wie ein reflektierter Umgang mit theologischen Inhalten für konkrete politisch ethische Fragen fruchtbar gemacht werden kann.


In the light of the arrival of a great number of refugees in Germany the article describes the ethical challenges in dealing with asylum and migration from the perspective of Christian ethics. First fundamental biblical themes are reflected. The creation of human beings as images of God and the groundedness of an ethic of empathy in the experience of liberation from slavery in Egypt by God’s people are interpreted as the basis of the close interconnectedness of the double commandment of love and the Golden Rule in the New Testament. Drawing on Max Weber’s distinction of ethics of conviction and ethics of responsibility and reflecting on Luther’s two kingdoms doctrine, the article shows how a well reflected exploration of theological themes can be fruitful for concrete questions of political ethics.

 

MARKUS ZEHNDER
Erwägungen zur Migration im Licht des Alten Testaments


Die in den alttestamentlichen Texten enthaltenen Konzepte zu Migration und zur Stellung Fremder im antiken Israel / Juda sind vielfältig und nicht auf eine einzelne Grundaussage reduzierbar. „Offene “ und „restriktive “ Tendenzen finden sich gleichermaßen. Es wird deutlich zwischen verschiedenen Gruppen von Fremden unterschieden; diese werden aufgrund ihrer Nähe oder Distanz zur Rezeptionsgesellschaft Israel unterschiedlich behandelt. Die gewichtigen Unterschiede in den aktuellen und antiken Kontexten, in denen Migration stattfindet, verbieten einfache Eins-zu-eins-Übertragungen.


The concepts concerning migration and the status of foreigners in ancient Israel are variegated and cannot be reduced to one single model. “Open” and “restrictive” tendencies are both attested. Clear distinctions are made between various types of foreigners; they are dealt with differently according to their respective closeness or distance vis-à-vis the receiving society, Israel. The considerable differences between the modern and antique contexts in which migration takes place make simple one-to-one transfers impossible.

 

UTA HEIL
Die „Völkerwanderung“ und die Gegenwart


Die „Völkerwanderung “ bzw. die Migrationsbewegungen des 4. bis 7. Jahrhunderts sind angesichts der sogenannten „Flüchtlingskrise “ in das aktuelle Tagesgespräch eingedrungen. Warum werden jedoch welche Vergleiche mit der Vergangenheit wie gezogen? Der Aufsatz bietet (1) eine kleine Presseschau, (2) frühere Deutungen und Aktualisierungen der Völkerwanderung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sowie (3) Beispiele für Sichtweisen der damaligen Zeitgenossen im 5. und 6. Jahrhundert auf die „Völkerwanderung “.

 

The “ Völkerwanderung ” or migration period has penetrated the current debate about the so-called “refugee crisis”. Why, however, are these comparisons with the past drawn and in which manner? The article provides (1) a short press review, (2) earlier interpretations and updates of the migration period in the 19th and early 20th century and (3) examples of views of the contemporaries in the 5th and 6th centuries of the developments.
 

JOSEF PILVOUSEK
„Kirche, die aus dem Osten kam“ - Migrationen, Integrationen, Fremdheitserfahrungen und Katholizismus in der SBZ / DDR


Die katholische Kirche in der DDR ist erst allmählich durch verschiedene Migrationen (Flucht- und Vertreibungsbewegungen) aus Ost- und Südostmitteleuropa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden. Schlesier, Sudentendeutsche und Ostpreußen bildeten den Stamm für katholische Ansiedlungen inmitten einer konfessionellen Diaspora, die sehr bald zur weltanschaulichen wurde. Der Begriff „Kirche aus dem Osten“ konnte aber auch zur Klassifikation für einen provinziellen und rückständigen Katholizismus verwendet werden. Bis heute prägen diese Merkmale die katholische Kirche und ihre Gemeinden in den Neuen Ländern.

 

After the Second World War the Catholic Church within the German Democratic Republic (GDR) slowly rose by migration flows from eastern and southern Central Europe. Mainly Catholics from Silesia, Sudetes and East Prussia settled down in East Germany in a situation that could be described as a “religious and ideological diaspora”. “Church from the East” is a phrase often used, not only to describe but also to discriminate a church, which was built by migrants. Until today this heritage plays an important role for the Catholic Church in reunited Germany especially in parishes in the territory of the former GDR.
 

ULRICH DEHN
Fremdwahrnehmung und Migration aus Sicht der interkulturellen Theologie und der Religionswissenschaft


Der Aufsatz lotet den Gang der Diskussion zur Selbstkonstitution, zur Wahrnehmungsbeziehung Ich – Du und zur Fremdwahrnehmung aus und setzt diese in Beziehung zur Thematik von Migration und Diaspora. Ein Blick in die Literatur zu Migration und Internationalismus sowie in die Religionsgeschichte zeigt, dass Migration und Diaspora durchgehende Motive sind. Fremdwahrnehmung wird konzipiert als ein ethischer und erkenntnistheoretischer Prozess unter den Aspekten des Respektes und der Re- und Dekonstruktion.

 

The paper gives an insight into the discussion of how the Self is constituted by encountering the Other and into the debate of perception of the Other as strange, discussing this in relation with the issues of migration and diaspora. A view of the discussion on migration and internationalism and of the history of religions shows that migration and diaspora are ever present issues and phenomena. Perception of the Other / Strange is to be conceptionalised under the aspects of ethics (respect) and a theory of cognition (re- and deconstruction).
 

KONRAD OTT
Der „slippery slope“ im Schatten der Shoa und die Aporien der bürgerlichen Gesellschaft angesichts der Zuwanderung


Vor dem Hintergrund steigender Flucht- und Migrationsbewegungen werden „expansionistische “ Ansätze in Moral und Ethik untersucht, die für die Ausweitung von anerkennungswürdigen Fluchtgründen und der ihnen entsprechenden Rechten und Pflichten eintreten. Der Expansionismus wird als abschüssiger Hang (slippery slope) rekonstruiert, an dessen Ende die Forderung nach offenen Grenzen steht. Mit dem demokratischen Republikanismus wird eine Alternative zum ethischen Expansionismus skizziert.


The article analyzes current approaches within the ethics of migration that argue in favor of a widening scope of reasons which constitute the normative status of a refugee entailing specific rights and obligations. This ethical expansionism is conceived as being a slippery slope. The case for open borders is regarded as its final objective. Democratic republicanism is presented as being an alternative to ethical expansionism.

 

Reden anlässlich der Verleihung des Karl-Barth-Preises

 

MARKUS DRÖGE
Karl-Barth-Preis für Michael Welker Laudatio, gehalten bei der festlichen Preisverleihung am 9. Juli 2016 in Basel


Am 9. Juli 2016 wurde der Karl-Barth-Preis der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) an Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Michael Welker (Heidelberg) verliehen. Die Laudatio auf seinen akademischen Lehrer hielt der Berliner Bischof Dr. Dr. h. c. Markus Dröge. Ausgehend von seiner persönlichen Mitschrift einer 1982 / 83 in Tübingen gehörten Vorlesung Welkers über Karl Barths „Kirchliche Dogmatik “ charakterisiert Dröge exemplarisch, wie Welker in kritischem Anschluss an Karl Barth seine eigene Theologie entwickelte – in der Tradition der Barmer Theologischen Erklärung und in interdisziplinären und internationalen Bezügen.

 

On July 9, 2016, the Karl-Barth-Preis 2016 of the Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) was awarded to Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Michael Welker (Heidelberg). The protestant bishop of Berlin, Dr. Dr. h. c. Markus Dröge, held the laudatio on his academic teacher. Starting from Welker’s lessons on Barth’s “Church Dogmatics” he attended in 1982 / 83 in Tübingen, Dröge characterizes from some exemplary points of view, how Welker developed his own theological thought in critical connection to Barth – in the tradition of the Barmen Theological Declaration (1934) and in contemporary, both interdisciplinary and international, relations.

 

MICHAEL WELKER
Zur Verleihung des Karl-Barth-Preises


Die Dankesrede erläutert zunächst, warum die Ehrung durch die leitenden Geistlichen aus Berlin und aus der Pfalz für mich besonders bewegend ist. Sie betont dann die hohe Bedeutung der Theologie Karl Barths in meiner Lehre (neben vielen Vorlesungen und Seminaren betreute ich 14 Dissertationen über sein Werk) und skizziert schließlich die Herausforderungen durch sein Denken für meine eigene theologische Forschung.


The acceptance speech explains, why the presence of the church leaders from Berlin and the Palatinate were particularly moving to me. It then emphasizes the high relevance of Karl Barth’s theology for my academic teaching (apart from seminars and lectures on his work I supervised 14 doctoral dissertations on Barth). Finally, it sketches the challenges of Barth’s thought for the development of my own theological research.