Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ)

BThZ Beiheft 2007

An Leib und Seele gesund. Dimensionen der Heilung


CHRISTOF GESTRICH
„Die Seele des Menschen als Gegenstand der christlichen Pflege und der philosophischen Diskussion“

Die evangelische Theologie ist bei der Lehre von der Seele im 20. Jahrhundert in bedenklicher Weise hinter dem zurückgeblieben, was zu lehren erforderlich gewesen wäre. Sie meinte, sie sei es dem biblischen Wort Gottes einerseits, der notwendigen Selbstbefreiung vom platonischen Dualismus andererseits schuldig, sich mehr oder weniger vom anthropologischen Begriff der Seele ganz zu trennen. Sie hoffte außerdem, der Bibel und dem naturwissenschaftlich denkenden und fühlenden ‚modernen Menschen‘ gleichermaßen entgegenzukommen, wenn sie die Vorstellung von einer unsterblichen menschlichen Seele radikal verabschiedete. In Wirklichkeit trug die evangelische Theologie aber eine immer uneinheitlichere und immer unverständlichere Lehre von der christlichen Hoffnung über den Tod hinaus vor. Diese Schwäche dürfte viele Menschen dem Christentum und der Kirche entfremdet haben. Sie hat auch die Vollmacht der Seelsorge erheblich reduziert. Heute können Philosophie und Humanwissenschaften oft substantieller von der menschlichen Seele reden als die evangelische Theologie, die eigentlich eine höchst differenzierte und diskussionswürdige Tradition des Redens von der Seele in der Kirchengeschichte hinter sich hat. Auch Luthers Äußerungen über die Seele können heute in Verbindung mit anderen Erkenntnissen über die Seele der evangelischen Theologie zur Neubegründung der Lehre von der menschlichen Seele, die den Tod durchaus überragen kann, beitragen.

Protestant theology of the twentieth century has underachieved in a concerning manner regarding its teachings on the soul. Theologians thought they owed it to both the biblical word of God, as well as to the necessary liberation from platonic dualism, to dissociate from the anthropological term of the soul. Theologians also hoped to to reconcile the Bible with ‚modern man‘, scientific in his thoughts and sentiments, by radically opposing the teachings of an immortal human soul. In reality, however, protestant theology proclaimed more and more inconsistent and uncomprehensible teachings of Christian hope beyond death. This weakness may have estranged many people from Christianity and the church, and furthermore, it has reduced the authority of (pastoral) counselors. Today, philosophy and the humanities can speak of the human soul substantially, whereas protestant theology cannot, although protestant theology in its ecclesiastical history has a highly differentiated tradition of speaking about the soul which is worth discussing. Luther’s statements referring to this subject, in connection with other insights derived from protestant theology concerning the soul can contribute to a new formation of doctrines concerning the human soul.


WILHELM RIMPAU
„Seelische Dimensionen von Gesundheit und Krankheit unter Berücksichtigung des Werkes von Viktor von Weizsäcker“

Die Anthropologische Medizin, beginnend mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert und von Viktor von Weizsäcker als Aufgabe formuliert, die naturwissenschaftlich geprägte Medizin zu reformieren, versteht sich als Zusammenschau körperlicher, seelischer und geistiger Attribute des Menschen in seinem Gesundsein und Kranksein. Sie begründet eine ärztliche Kultur, die nicht Krankheiten sondern kranke Menschen behandelt.

Medical anthropology, dating from the 18th century, the Age of Enlightenment, sees itself as an approach to human health and illness on a physical, as well as mental, and social level. The German neurologist Viktor von Weizsäcker (1886–1957) advocated reforming clinical medicine by including aspects of psychoanalysis, the introduction of the subject into medicine and overcoming the mind-body separation. In his own practise and theory, he pointed the way from a medical system oriented towards the „treatment of disease“ toward one concerned with „health care“.


DOROTHEA HOLLNAGEL
„Schlaf und Heilung – die Asklepios-Heiligtümer“

Asklepios, griechischer Heilgott und Ahnherr der Ärzte, wurde in der Antike in seinen Heiligtümern aufgesucht und um die Heilung von Krankheiten gebeten. Die Patienten, die teilweise von weither kamen, begaben sich nach Opfern, Fasten- und bestimmten Reinigungsriten in einen Heilraum, in dem sie die Heilung im Traum erwarteten. Die Berichte dieser wunderbaren Heilungen wurden schriftlich gesammelt und stimmten die Patienten mental und emotional auf ihre Heilung ein.

In antiquity, Asclepius, the Greek god of healing and forefather of physicians, was often sought at sanctuaries dedicated to him where the sick called upon him to cure their illnesses. The patients, who sometimes came from far away, lay down in a healing room after having performed sacrifices and rites of purification and having undergone a period of fasting. There they awaited their healing in dreams. Reports of these miraculous healings were collected in writing; they prepared the patients mentally and emotionally for their cure.


ANNETTE WEISSENRIEDER
„Er ist ein Gott!“ (Apg 28,6). Paulus, ein christlicher Asklepios?

„Er ist ein Gott!“ rufen die Einwohner der Insel Malta, nachdem Paulus einen Schlangenbiss überlebt hat und Kranke heilt. Die Gottesbezeichnung ist bemerkenswert, da der Verfasser des lk Doppelwerks auf Titel für Paulus verzichtet. Möglicherweise wendet der Verfasser des Lk-Ev das antike soziale Konstrukt der sog. „göttlichen Ärzte“, das uns durch eine Vielzahl von Münzen, Votive, Statuen und Gemmen überliefert ist, auf Paulus an. Vor dem Hintergrund der göttlichen Ärzte und der antiken medizinischen Tradition, ist die Gottesprädikation verstehbar und etabliert Paulus als sog. göttlichen Arzt. Als weiterer Beleg kann die narrative Darstellung von Paulus in der Apostelgeschichte gedeutet werden, die ihn als Seher und Heiler präsentiert. Das Bild verdichtet sich, wenn man numismatische, theologiegeschichtliche, medizinhistorische und literarische Belege mit einbezieht. Sie lassen die Asklepiostradition für die paulinische Darstellung durch Lukas evident erscheinen.

„He is a god!“ exclaim the natives of the Island of Malta when Paul shakes the snake from his hand and does not swell up and die (Acts 28:6). This divine attestation is particularly significant considering that the author of Acts does not ascribe titles to Paul. The portrait of Paul in Acts 28 is partially answered by placing the divine attestation against the background of conceptions of ancient doctors, who are frequently included among the gods. A number of divine representations of doctors occur on statues, reliefs, coins, and gems, which date from the fifth BCE and are especially numerous in the first centuries BCE and CE.


THOMAS BEELITZ/JOCHEM POTENBERG
„Gesunden an Leib und Seele – Erfahrungen von Arzt und Seelsorger aus der klinischen Praxis“

Trotz enormer Fortschritte der Medizin führen fortgeschrittene Tumorleiden häufig zum Tod. Der Arzt setzt zunächst auf das Prinzip „Hoffnung erhalten“ und wird dabei häufig durch den therapeutischen Erfolg gestützt. Im weiteren Verlauf kann es jedoch zum Versagen der Therapie kommen. Die Konfrontation mit dem Sterben wirft existentielle Fragen auf. Hier kann die Seelsorge unterstützen und begleiten. Manchmal bestehen schon bei der Stellung einer bösartigen Diagnose krisenhafte Lebenssituationen, die medizinische und theologische Hilfestellungen benötigen.

Healing cancer has become a welcome reality in many cases. Yet tumor treatment of progressed oncological disease often ends with the patient’s death. The case material presented shows the close cooperation of chaplain and physician in a general hospital setting over a period of 14 months – and the benefits the patient was able to derive from it before dying. Questions of setting, modes of cooperation, treatment vs. healing as well as spiritual risk and coping are raised from the diverse perspectives of medicine and theology. The dialectics of hope play a central role in the shared endeavour of doctor and minister.


MICHAEL KLESSMANN
„Heilsamer Glaube?! Über den Zusammenhang von Religiosität, Seelsorge und Heilung“

Empirische Forschungen legen eine positive Korrelation von individueller Religiosität und Prozessen der Gesundung bzw. Krankheitsbewältigung nahe. Die Modelle der Salutogenese (Antonovsky) bzw. der Selbstregulation (Grossart-Maticek) lassen diesen Zusammenhang nachvollziehbar erscheinen, wenngleich die Ambivalenz von Religion dabei zu wenig berücksichtigt wird. Seelsorge als Angebot zur Lebensdeutung kann einen sinnvollen Beitrag zur Krankheitsverarbeitung leisten. Gleichzeitig widerspricht die christliche Tradition jeder Funktionalisierung des Glaubens, unterscheidet statt dessen den gesellschaftlichen Stellenwert von Gesundheit von dem, was Heil bedeutet, und gewinnt von daher eine kritische Perspektive auf den gegenwärtigen Gesundheitsdiskurs.

Empirical research suggests a positive correlation between individual religiosity and processes of healing resp. of coping with illness. The models of salutogenesis (Antonowsky) or self-regulation (Grossarth-Maticek) explain this correlation in a coherent way, even though the ambivalence of religion is not sufficiently taken into account. Pastoral care offering interpretation of life makes a meaningful contribution to processes of coping with illness. However Christian tradition contradicts a functionalisation of faith, it rather distinguishes health from salvation: In this way it gains a critical position over against the present day health discourse.


CHRISTOFFER GRUNDMANN
„Die Leibhaftigkeit des Heils bezeugen. Über Heilungen, die Verkündigung des Wortes und den ureigenen Auftrag der Kirche

Der Beitrag ist eine theologische Grundsatzreflexion über das Verhältnis von Heilsverkündigung und Heilung zueinander. Beginnend mit anthropologischen Überlegungen zu Heilung, die in der Gewinnung des Begriffes Leibhaftigkeit kulminieren, werden in weiteren Schritten theologische sowie ekklesiologische Dimensionen von Heilung bedacht. Dabei wird deutlich, wie sehr bei dieser Thematik das Ganze der Theologie gefordert ist, vorausgesetzt, Heilung wird als Leibhaftigkeit des Heils verstanden, das die Kirche hier und heute zu bezeugen hat.

This paper provides a principal theological reflection on the relationship of healing to Gospel proclamation. Its three parts address in this sequence anthropological, theological, and ecclesiological issues and show that the entire repertoire of a genuine Trinitarian theology has to come into play, provided it is agreed upon, that the church has to witness to the corporeality of salvation of which healing is but one expression, an important one though.