Humboldt-Universität zu Berlin - Literatur- Religions- und Zeitgeschichte des entstehenden Christentums

Forschungsprojekt Schöpfungs-Aitiologien und Genderdiskurse im entstehenden Christentum

 

Forschungsprojekt: „Neue Schöpfung? – Aitiologische Rezeptionen der Genesiserzählung in frühchristlichen Diskursen über Kosmos, Mensch und Geschlecht.“

Prof. Dr. Christine Gerber und Prof. Dr. Cilliers Breytenbach

Teilprojekt im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe „Aitiologien: Figuren und Funktionen begründenden Erzählens in Wissenschaft und Literatur“ (FOR 5323; Sprecherin Prof. Dr. Susanne Gödde, FU Berlin; 2023-2027)

Projektseite: https://www.aitiologie.de/

 

Zur Forschungsgruppe

Die von der DFG neu bewilligte, interdisziplinäre Forschungsgruppe über Aitiologien, die im Oktober 2023 ihre Arbeit aufgenommen hat, erforscht die Faszination von Anfängen und die Suche nach Ursprüngen vom Standpunkt ihrer gegenwärtigen und retrospektiven Konstruktion und Funktionalisierung aus. Anfangsgeschichten – mit dem heuristischen Instrument der Aitiologie (der Erzählung von Anfang, Grund und Ursache) betrachtet – enthalten politische, ästhetische, religiöse und lebenswissenschaftliche Programme für die jeweilige Gegenwart, die sie begründen. Die Forschungsgruppe untersucht Kosmologien, Schöpfungserzählungen, literarische und wissenschaftliche Urszenen sowie politische Gründungsnarrative, mit Blick auf ihre jeweiligen Zeit-Rhetoriken.

Zum Teilprojekt „Neue Schöpfung?“

Das neutestamentliche Teilprojekt, von C. Gerber und C. Breytenbach geleitet, analysiert die Rezeption der biblischen Schöpfungserzählungen aus Gen 1-3 als Aitiologien bestehender Ordnungen und ihre christologische Rekonfiguration im entstehenden Christentum.

Die als Anfang der Bibel überlieferte Erzählung von der Erschaffung der Welt und des Menschen durch Gott und dem Verlust des Paradieses hat für Judentum und Christentum fundamentale Bedeutung. Der Text und die damit fixierte Vorstellung prägen das jüdisch-christliche Denken seit alters wie eine Aitiologie, die als ontologische Wahrheit gilt: Die Weltwirklichkeit ist so, weil Gott sie so gemacht hat, wie dort beschrieben. Für das Christentum ist genauer Gen 1-3 in der interpretierenden Übertragung ins Griechische – unbenommen faktischer Inkohärenzen – der Grundtext. Anhand dieses Textes führt die frühchristliche Theologie die „Arbeit am Anfang“ fort in der Überzeugung, dass Gott in Christus den Anfang neu gesetzt hat.

Das Projekt untersucht diese Rezeption der Schöpfungserzählung von Gen 1-3LXX als Aitiologie in einer doppelten Hinsicht: Ausgehend von der Rekonstruktion von Gen 1-3LXX als Ausgangstext (Forschungs- basis) werden frühchristliche Rezeptionen als Aitiologien analysiert mit Fokus auf die christologische Relektüre der Schöpfungserzählung (Fokusbereich I, C. Breytenbach). Darauf aufbauend wird (im Fokusbereich II, C. Gerber) die Heranziehung von Gen 1-3 im Diskurs über die in Christus geltende Geschlechterordnung im Lichte moderner Genderdiskurse und damit die Pragmatik aitiologischer Diskurse untersucht.

Es gilt, aus der Vielfalt der Rezeptionen die Ambiguitäten und Widersprüche im Text von Gen 1-3LXX selbst, ihr diskursives Potential in Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart mit Relevanz für die Zukunft und die epistemisch-wirklichkeitssetzende Kraft von Aitiologien offenzulegen.